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Das alltägliche Gruseln

■ Ab morgen im Offenen Kanal: Bremens TV-Sendung von und mit SchülerInnen

„Alle sind tot, alle sind glücklich“. Tommy Stumpf, deutscher Star der Electronic Body Music, verbreitet eine Schreckensvision, die der Logik entbehrt. Aber Stumpf ist unter den NullSat-Kids ganz hip, der monotone Singsang und die einhämmernde Synthi-Musik geben ihren Rhythmus an. Sie haben einen Video-Clip dazu gedreht, fast könnte er mit Viva oder MTV mithalten. Die Youngsters unter den Musik-Video-FilmerInnen lassen die StatistInnen durch das grelle Gekräusel der Spiralofix-Grafik tanzen.

Skuril und an der Grenze des für Erwachsene gerade noch Erträglichen geht es weiter. Die erste Sendung des neuen SchülerInnen-Fernsehmagazins „EinsNeunZweiFünf“ zeigt, was die Jugendlichen bewegt. In seinem ausgezeichneten Film „Alpträume“ hat Andy Meyer die Gruselvisionen eines Jungen vor dem Computer als Comic-Strip animiert. Das PC–Monster zieht den Jungen durch den Monitor in das unergründliche Innere des grauen Kastens. Zum Glück wird er als unbrauchbar wieder ausgespieen, zum Glück ist alles nur ein Traum.

Für diese Computeranimation hat der junge Regisseur den zweiten Preis bei dem europäischen Schülerwettbewerb „Make a Video“ 1994 gewonnen. Im vergangenen Sommer zeigte das Kino 46 alle von Bremer SchülerInnen eingereichten 38 Video-Filme. Der Erfolg war enorm, die Filme viel zu gut, um sie in die Schublade zu packen. Sie bilden nun den Grundstock für die zunächst geplanten sechs Sendungen. „Das ist ein Experiment, ob Schüler es hinkriegen, eigenverantwortlich so'n Ding zu übernehmen“, sagt Klaus Heitkötter. Der Medienpädagoge betreut im Medienzentrum Walle das Projekt. Er wollte den „zahlreichen, expandierenden Videoaktivitäten“ an den Bremer Schulen einen festen Sendeplatz bieten. Heitkötter zeigt den SchülerInnen wie gefilmt, gescannt und geschnitten wird. Wenn die Jugendlichen das Handwerk beherrschen, greift er kaum noch ein. „Als Lehrer stülpt man zu leicht seine eigenen Ideen über die Kids“, meint er. „Die sollen ihr eigenes Ding machen“. Mit der Technik haben „die Kids keine Probleme, am Schnittplatz sind die 300 Prozent besser als ich“, sagt Heitkötter.

Ihr eigenes Ding haben die Jugendlichen dann auch abgedreht. Zwischen die sehr ernsten, fast illusionslosen Wettbewerbsbeiträge haben die jungen FernsehmacherInnen Sketche eingebaut. Im Kochstudio werden Meeresfrüchte mal ganz anders zubereitet: Kochen mit Ketchup, Corn-Flakes, Rotz und viel Essig. Als „Meilenstein des gesprochenen Wortes“ bringen sie den ZuschauerInnen die Heizung nahe. Ein Wesen fast wie wir, schließlich hat auch sie Rippen. Die Inhalte der einzelnen Clips widersprechen sich durchaus: Der Koch, der Wetterfrosch und das lange Messer in der Küche, sind umrahmt von mahnenden Filmen, Tiere nicht zu schlachten. Nach den jüngsten „Entglasungen“ von Schlachtereien bietet „EinsNeunZweiFünf“ einen eigenen Ansatz zu dem Thema.

Die Auftaktsendung von „EinsNeunZweiFünf“ kann sich sehen lassen. Eltern und LeherInnen erfahren hier vielleicht endlich mal, was die Jugend denn nun bewegt. Begeisterte oder entsetzte SchülerInnen sind übrigens willkommen, bei den kommenden Sendungen mitzuwirken. Alles ist offen, alles ist erlaubt.

fok

Die erste Sendung von EinsNeunZweiFünf läuft morgen um 19.25 Uhr auf dem offenen Kanal. Bis Juni planen die MacherInnen zunächst eine monatliche Sendung.

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