Fünf alte Damen freuen sich

Das sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen spricht jüdischen Erben ihren Grundbesitz zu / Es hebt den negativen Bescheid des Leipziger Vermögensamtes auf  ■ Von Christian Semler

Berlin (taz) – Vermögensverwalter Michael Kämper hat allen Grund zur Zufriedenheit. Er vertritt fünf alte Damen, die als Erbinnen des jüdischen Pelzkaufmanns Abraham Ansprüche auf ein Geschäftshaus am „Markt“, mitten im historischen Stadtzentrum von Leipzig, geltend machen. Kämper kann jetzt hoffen, daß seine Schützlinge tatsächlich Eigentümer des Schmuckstücks werden. Das Dresdener Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen hat einen früheren, ablehnenden Bescheid des Leipziger Vermögensamtes aufgehoben. Die Kollegen vor Ort hatten argumentiert, daß das Pelzgeschäft Abraham, dem unter anderem das Haus am Markt gehört hatte, schon vor 1933 verschuldet gewesen sei. Die Zwangsvollstreckung, die nach der Emigration von Abraham und seinem armenischen Geschäftspartner schließlich 1938 über die Bühne ging, sei nicht als Folge diskriminierender Maßnahmen der Nazis zu betrachten. Das Unternehmen sei schlicht und einfach pleite gegangen. Stimmt nicht, sagen jetzt die Dresdener als übergeordnete Landesbehörde. Der Ruin sei Konsequenz nationalsozialistischer Verfolgung, das Grundstück müsse restituiert werden.

Im Streit der sächsischen Behörden spiegelt sich eine jahrzehntelange Auseinandersetzung in der „alten“ Bundesrepublik. Noch zu Zeiten alliierter Besatzung waren mit den Ansprüchen jüdischer Eigentümer auf Rückübertragung „arisierter“ Sachwerte auch die Fälle von Zwangsversteigerungen jüdischen Vermögens im „Dritten Reich“ geregelt worden. Die notwendige Einzelfallprüfung führte nach dem Krieg häufig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Zwei Rechtstheorien standen sich gegenüber. Nach der Verursachungstheorie war danach zu fragen, wie sich der jüdische Eigentümer gestanden hätte, wenn er in Deutschland geblieben und keiner Diskriminierung ausgesetzt worden wäre. Die Theorie ging also von der Situation des Verfolgten aus. Nach der Mißbrauchstheorie mußte geprüft werden, ob die Zwangsvollstreckung den vormaligen Eigentümer in seinen Rechten verletzte. Zum Beispiel dadurch, daß es ihm (weil er emigriert war) nicht möglich war, Einspruch einzulegen. In den 60er Jahren machte sich der Bundesgerichtshof in einem Urteil, das übrigens den gleichen Antragsteller, die Abraham-Erben, betraf, die restriktive „Mißbrauchstheorie“ zu eigen. Allerdings ging es nicht um Grundstücke, sondern um Schadensersatz wegen des Firmenzeichens. Trotz dieser Entscheidung neigte die „h.L.“ (herrschende Lehre) mehr der Verursachungstheorie zu. Nach Erledigung der Streitfälle schien die Frage in den 80er Jahren allerdings nur noch von akademischem Interesse.

Das änderte sich nach der Vereinigung. Das Vermögensgesetz nahm in seinem ersten Artikel die Restitutionsrechte von Opfern der nazistischen Herrschaft auf, allerdings unter den einschränkenden Klauseln („Unmöglichkeit“, redlicher Erwerb“) des Gesetzes. Damit war der alte Streit wieder auf dem Tisch. In dem konkreten Leipziger Fall des Hauses am Markt wandte sich eine der Anspruchs-Parteien an die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Die schrieb zurück, sie sei nicht zuständig, vertrete allerdings als Juristin die Meinung, daß in Fällen von Zwangsversteigerung jüdischen Eigentums nach der Verursachungstheorie zu urteilen sei. Dieser weitherzigen Meinung schloß sich das Bundesamt für Vermögensfragen an. Letztere Behörde, ein bürokratischer Papiertiger, konnte nur eine Empfehlung aussprechen. Die Landesämter münzten sie in rechtsverbindliche Akte um.

So weit, so erfreulich. Vermögensverwalter Kämper sieht einem Rechtsstreit mit dem jetzigen Eigentümer REW gelassen entgegen. „Hätte sich“, so Kämper, „das Leipziger Amt an das vorgängige Gutachten der Dresdener Behörde gehalten, der ganze Ärger wäre uns erspart geblieben.“