■ Ex und hopp
: Tempo-Romanzen

Ein Tempo braucht man immer, wenn irgendwas ausläuft. Die Ölkanne, die Nase, der Himmel oder ein Gesellschaftsmodell. Jedenfalls schnaufte die Weimarer Republik in ihren letzten Zügen, als mit dem Tempo ein neuer Stern am Horizont der Hygiene aufging. 65 Jahre, wissen wir aus dem Fernsehen, hat es überlebt. Ein ehrwürdiges Alter, potzblitz! Doch ist das Grund genug, ins Land der Holzskier zurückzuwedeln und den modernen Menschen im Echo eines dümmlichen Zweitongesanges „blau und weiß“ zu nerven? Das ist doch zum Heulen! Eben...! So erreicht selbst eine verschnupfte Werbung ihr Ziel, verhäkelt, aber schlau gemacht.

Wie ehrlich dagegen das gute alte Baumwolltuch. Kariert oder spitzengesäumt zeigte es sogleich den sozialen Stand der BesitzerInnen an, gab Hinweise auf die Tiefe von Beziehungen. Othello beispielsweise bringt seine Desdemona um, weil sie das Taschentuch verbaselt, das er ihr schenkte. Zugegeben, in den meisten Theatern mutiert die Liebesgabe zum symbolverrotzten roten Seidentuch, die Bremer Inszenierung zeigt diesen Akt gar nurmehr pantomimisch. Vorbei die Baumwolliebe, perdu die große Geste. Statt spitzenumsäumter Zärtlichkeit steriler Hygienewahn, aber mal ehrlich: Wer will heute noch ein Taschentuch fallenlassen, welche Wirkung hat ein Tempo im Regen? Was für eine verwaschene Vorstellung, welch regennasses Melodram!

Tempo winkte die Wegwerfgesellschaft ein, schwingt dem Überfluß die Friedensfahne. Im Tempo nährte sich das neue Lebensgefühl, der Kleenex-Lifestyle. Zewa Wisch und weg. Doch halt, das ist eine andere Firma, welche die Damen in der Küche und die Herren im Bett bedient. Solcherart Geschlechtertrennung gibt's in Amerika nicht, dort wird das nach Unkrautvernichter klingende Kleenex für alles und jedes benutzt. Die Gattung Tempo ist relativ unbekannt, selbst für die Nase gilt Kleenex oder, jawohl, das kleine bunte aus Baumwolle. Die AmerikanerInnen zogen den logischen Schluß aus der Tatsache, daß ein Baumwolltuch selbst knüllenden Vorstellungsgesprächen standhält und in der Waschmaschine keine Pullover verhunzt. Aber gut, selbst das ließe sich noch als Unfall verbuchen und hinnehmen. Nur warum, muß man doch fragen, warum bleibt uns Deutschen nicht wenigstens diese idiotische Tempo-Werbung erspart? Dora Hartmann