: Viele Wege gegen den Krebs
Die Kombination verschiedener Therapien bei der Tumorbehandlung vergrößert den Erfolg / Wirksamkeit alternativer Ansätze oft umstritten ■ Von Lennart Paul
Der große Durchbruch, ihn wünschen sich alle. Die an Krebs Erkrankten, auch Wissenschaftler und Ärzte hoffen, daß es endlich heißt: Der Krebs ist besiegt, ein Impfstoff ist gefunden, der diese tückische Krankheit zu einer Geißel der Vergangenheit werden läßt. Doch eine Wundertherapie ist nicht in Sicht. „Zu den klassischen Therapien, Chemotherapie, Bestrahlung und Operationen, gibt es zur Zeit keine Alternative“, meint Malte Wittwer von der Deutschen Krebshilfe in Bonn. Die Krebshilfe unterstützt die Suche nach neuen Wegen. Immuntherapien sind der große Hoffnungsträger der Wissenschaft. Noch gibt es zwar weltweit keine einzige ausgereifte Therapie, aber einige Formen werden schon an Patienten erprobt. Ab 1985 führte die Ludwig-Maximilian-Universität München eine immuntherapeutische Versuchsreihe durch. Patienten mit Darmkrebs bekamen nach der Operation Infusionen mit einem speziellen Antikörper. Das Ergebnis war überzeugend: Fünf Jahre nach Ende dieser Therapie lag die Sterberate in der mit dem Antikörper behandelten Patientengruppe um 30 Prozent niedriger als bei Patienten ohne Infusionen.
Gentherapie erprobt
In der Universitätsklinik Freiburg erproben die Ärzte seit einem Dreivierteljahr die europaweit erste Gentherapie gegen Krebs. Inzwischen wird dieser Ansatz auch in Berlin-Buch erprobt. Die Forscher hoffen, daß das Immunsystem durch den Eingriff gestärkt wird und der menschliche Körper durch die Behandlung Krebszellen besser erkennt. Und das funktioniert so: Das Bluthormon Interleukin-2 alarmiert im Körper immer dann die Killerzellen des Immunsystems, wenn krebsartig veränderte Zellen auftreten. Wird nicht genug von dem Bluthormon produziert, können nicht genügend Killerzellen gegen die Tumoren mobilisiert werden. Dann soll die Gentherapie künstlich Abhilfe schaffen: Das Gen für Interleukin-2 wird in Bindegewebszellen des Patienten eingeschleust, die Zellen vermehrt, mit Tumorzellen vermischt und bestrahlt. So leben sie weiter, ohne sich im Körper zu vermehren. Als Impfung erhalten die Kranken ihre genetisch veränderten Zellen zurück. Diese sollen die Killerzellen gegen Tumoren aktivieren.
Länger erprobt ist die Krebsbekämpfung mit Hilfe von Überwärme (Hyperthermie). Seit fünf Jahren kommt diese Therapie im Berliner Universitätsklinikum Rudolf Virchow bei Krebs in fortgeschrittenem Stadium zum Einsatz. Dabei erhitzen sie mit Radiowellen das befallene Gewebe auf bis zu 43 Grad. Unter der Wärme schrumpft der Tumor, so daß er für die parallel verlaufende Chemotherapie oder die Bestrahlungen anfälliger wird und besser zu operieren ist. „Nur mit der Kombination unterschiedlicher Therapieformen können wir bei der Krebsbehandlung einen Blumentopf gewinnen“, sagt Peter Wust, einer der für die Hyperthermie zuständigen Ärzte. Den Erfolg der Hyperthermie bestätigt eine Vergleichsreihe, die unter anderem in Dänemark, Italien und den Niederlanden durchgeführt wurde. Von den Erkrankten lebten nach fünf Jahren noch 46 Prozent der zusätzlich mit Hyperthermie Behandelten, ohne daß der Krebs wieder aufgetreten war. Ohne diese Behandlung lag die Überlebensrate nur bei 28 Prozent.
Alternative Therapien
Und andere, unkonventionelle Therapieformen jenseits der Schulmedizin? Ansätze gibt es zahlreiche, von der Ernährungs- bis zur Selentherapie. Immunstimulierende, ganzheitliche Behandlungen, die stärker als die Schulmedizin psychotherapeutische und seelische Aspekte miteinbeziehen, spielen hier eine Rolle. Solche Therapien haben einigen Zulauf. Schon weil sich manche Patienten von Schulmedizinern vielfach nicht ernst genommen fühlen. Wissenschaftliche Nachweise der Wirksamkeit dieser Methoden sind umstritten. Oft fehlt die Infrastruktur für eine fundierte Forschung.
Um die Beweisführung bemüht sich die Arbeitsgruppe „Biologische Krebstherapie“ am Klinikum Nord in Nürnberg. Die Mitarbeiter untersuchen unkonventionelle Methoden, von denen die Anbieter behaupten, sie könnten den Krebs stoppen. Die Nürnberger fragen in der Regel beim Hersteller oder Anwender des Verfahrens, ob dieser Beweise für die Wirksamkeit seiner Methode habe. „Häufig reagiert der Hersteller nicht auf die Anfrage“, sagt Gerwin Kaiser, einer der am Projekt beteiligten Ärzte.
Seit zweieinhalb Jahren forscht die Arbeitsgruppe, und noch sind die Wissenschaftler vorsichtig mit zusammenfassenden Beurteilungen. Hilke Stamatiadis-Smidt, Pressesprecherin des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg, ist skeptisch: „Der größte Teil ist Scharlatanerie. Bei keiner dieser sogenannten Alternativen ist der Erfolg bewiesen.“ Bei der unkonventionellen Methode die Spreu vom Weizen zu trennen ist nach Einschätzung von Malte Wittwer von der Deutschen Krebshilfe eine wichtige Aufgabe: „Viele Patienten hoffen beispielsweise auf Misteltherapien, und wir müssen herausfinden, ob sie wirklich etwas bringen.“
Die Mistel wird vor allem in der anthroposophischen Medizin eingesetzt. Dennoch bezieht diese medizinische Richtung ebenso die Ergebnisse der schulmedizinischen Forschung mit ein. Denn bei vielen Erkrankungen gibt es einfach keine Alternative, nur eine Ergänzung. „Bei Kinderleukämie beispielsweise ist der Verzicht auf eine Chemotherapie meist nicht zu verantworten“, meint Matthias Girke, medizinischer Leiter des Krankenhauses in Berlin-Havelhöhe. „Daneben ist es ganz wichtig, dem Patienten die Angst zu nehmen. Es müssen begleitende Therapien geboten werden, die dem Patienten die Therapie erträglich machen.“
Wichtig ist in jedem Fall die psychosoziale Betreuung der Patienten und ihrer Angehörigen, daran gibt es keinen Zweifel. Eine neue Studie beweist: Die Betreuung erhöht die Überlebenschancen der Erkrankten. „Die psychosoziale Seite wird immer noch stark vernachlässigt“, sagt Karin Nothnagel von der „Psychosozialen Beratungsstelle für Krebskranke und deren Angehörige-Selbsthilfe“. Die psychosoziale Betreuung solle endlich gleichberechtigt neben die Schulmedizin treten. Angst vor dem Tod, der Verlust von Sozialkontakten, all das gehöre genauso zum Krebs wie körperliche Schmerzen und erfordere genauso eine Behandlung.
Viele Wege, ein gemeinsamer Feind. Vielleicht gibt es keinen Durchbruch wie bei der Entdeckung des Penicillins, dafür aber immer bessere Therapien, die sich miteinander kombinieren lassen.
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