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Nicht am Konzept der Nationalstaaten kleben

■ Die „nichtrepräsentierten Völker und Nationen“ wollen bei den internationalen Organisationen mehr Beachtung finden / Konferenz in Den Haag begonnen

Frankfurt am Main (taz) – Seit gestern sitzen sie in Den Haag beisammen, die mehr als 40 Delegierten der „Organisation nichtrepräsentierter Völker und Nationen“ (UNPO). Vertreter aus Tschetschenien, Taiwan, Tibet und Ost- Timor, genauso wie die Lakota- Indianer aus den USA und die Kurden im Nord-Irak. Sie alle begreifen sich als eigenständige Völker und haben doch keine Vertretung bei den Vereinten Nationen.

Die UNO steht auch im Zentrum der Kritik: Unter dem Druck Rußlands, klagte UNPO-Generalsekretär Michael van Walt, bleibe die UNO im Tschetschenien-Konflikt völlig untätig. Die Glaubwürdigkeit der Völkergemeinschaft würde dadurch schwer erschüttert, sagte van Walt. Und der tschetschenische Vertreter Alambek Kadiev kritisierte gegenüber der taz die deutsche Bundesregierung, die mit unverminderter Finanzhilfe an Rußland das Töten in Tschetschenien weiter unterstütze.

Die UNPO meint, solche Konflikte schon im Ansatz verhindern zu können – wenn die Organisation nur international mehr Gehör fände: „Mindestens sechs Mal haben Tschetscheniens Führer in den vergangenen Monaten die UNPO als Sprachrohr benutzt, um zu friedlichen Verhandlungen mit Moskau aufzurufen. Jedesmal wurden sie ignoriert, und jetzt haben wir die Invasion“, erklärt der UNPO-Sprecher Richard Boele.

Er verlangt, von den Vereinten Nationen ernstgenommen zu werden. „Die Erfahrungen der UNPO allein 1994 zeigen, welch effektive Rolle wir spielen könnten, wenn die internationale Gemeinschaft von uns Notiz nehmen würde. Wie im Fall von Tschetschenien haben wir die Weltöffentlichkeit auch über die Konflikte um die Ogoni in Nigeria und die Griechen in Albanien informiert. In beiden Regionen ist es später zu Auseinandersetzungen gekommen.“

1991 gegründet, umfaßt die in Den Haag angesiedelte UNPO heute 43 Mitglieder, die über 100 Millionen Menschen repräsentieren. Tibet und Estland waren die wohl aktivsten Gründungsmitglieder. „Nichtrepräsentierte Völker und Nationen“, das sind für die UNPO „besetzte Länder, föderative Staaten, indigene Völker, ethnische oder kulturelle Mehr- und Minderheiten oder Kolonien“.

Davon gibt es viele, und so ist denn auch der politische Konsens nicht einfach herzustellen: „Der einzige Aspekt, der die Mitglieder hier vereint, ist ihr gemeinsames Streben nach Selbstbestimmung“, sagt Boele. „Die meisten wollen keine Unabhängigkeit, sondern eine Chance, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Wichtig sind dabei vor allem die Ausübung von Sprache, Religion und Kultur.“

In der UNO sind lediglich 180 Mitglieder, es gibt aber 5.000 verschiedene Völker auf der Erde. Die offizielle Repräsentation, meint Boele, sei jedoch gar nicht das Hauptproblem: „Internationale Organisationen klammern sich zu stark an das Konzept des Nationalstaates.“ Ganze zwölf Mal habe etwa Abchasien die UN und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aufgefordert, im Konflikt mit Georgien zu intervenieren, um einen Krieg zu vermeiden – ohne, daß das überhaupt zur Kenntnis genommen wurde. Als schließlich aber Georgien die Organisationen anrief, gab es eine prompte Reaktion – und die daraufhin vom UN- Sicherheitsrat beschlossene Aktion „war eine ungeheuer voreingenommene Unterstützung für die georgische Regierung.“

Als unabhängige Organisation geht die UNPO keinerlei politische Allianzen ein. Sie sucht den Kontakt zu den Vereinten Nationen, hat aber dort keinen offiziellen Status. Die 30 hauptamtlich Beschäftigten der UNPO konzentrieren sich in vier internationalen Büros darauf, die einzelnen Mitglieder durch Lobby-Arbeit und Trainingsprogramme in Diplomatie und Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Hugh Williamson

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