: Verzeihung für das verseuchte Blut
■ Gesundheitsminister Horst Seehofer entschuldigt sich bei aidskranken Blutern
Berlin (taz/dpa/AFP) – Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) hat die Opfer des Aids/Blut-Skandals „im Namen der Bundesregierung für die Fehleinschätzungen der Bundesbehörden um Verzeihung“ gebeten. Den zuständigen Bundesbehörden seien bei der jahrelangen Weitergabe HIV-verseuchter Blutprodukte „Fehleinschätzungen“ unterlaufen, sagte der Minister gestern im Bundestag. Er strebe noch bis März die Einrichtung eines Entschädigungsfonds zur Soforthilfe für die Opfer des Skandals an.
Seehofer und die Sprecher aller anderen Parteien akzeptierten damit in einer ungewöhnlich einmütigen Debatte den Bericht des Aids/Blut-Untersuchungsausschusses. Der Aids-Ausschuß hatte festgestellt, daß Pharmaindustrie, Ärzte und Behörden in den vergangenen Jahren mehrere hundert HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte mitverschuldet hatten, weil sie trotz des Aids-Risikos fahrlässig auf Vorsichtsmaßnahmen verzichteten. Rund 60 Prozent der Fälle wären vermeidbar gewesen.
Seehofer kündigte an, daß die Verjährungsfrist für Klagen gegen die Bundesrepublik bis Ende 1995 aufgeschoben werde. Auch das Haftungsrecht für Arzneimittel solle verschärft werden. Der Minister erklärte, daß bis Ende März eine Entscheidung über die Gestaltung des mit bis zu 700 Millionen Mark dotierten Entschädigungsfonds fallen werde. Der Fonds soll vor allem von der Pharmaindustrie und ihren Versicherungen freiwillig zu 60 Prozent ausgestattet werden. Der Bund soll 20 Prozent, die Länder 15 Prozent beisteuern. Seehofer äußerte sich enttäuscht, daß bislang nur Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen dem zugestimmt hätten.
Rund 40 Betroffene hatten die rund zweistündige Debatte auf der Tribüne des Bundestages verfolgt. „Die Entschuldigung war eine großartige emotionale Geste, mit der man nicht rechnen konnte“, sagte der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Hämophiler, Wilfried Breuer. Ute Braun von der Deutschen Hämophiliegesellschaft begrüßte die klare Zeitvorgabe für den Entschädigungsfonds. „Wenn bis März wirklich etwas geschieht, können wir gut damit leben.“ Breuer, der selbst gegen die Bundesregierung klagt, begrüßte die Verlängerung der Verjährungsfrist.
Über 2.000 Menschen, zumeist Bluter (Hämophile), wurden durch Blut und Blutprodukte mit dem aidsauslösenden HI-Virus infiziert. Rund 800 dieser Betroffenen sind schon gestorben. Obwohl bereits im Juli 1982 der Verdacht bestand, daß der todbringende Erreger durch Blutprodukte übertragen werden könne, geschah von seiten der Behörden nichts.
Erst im Juni 1984 schrieb das Bundesgesundheitsamt (BGA) vor, daß Blutprodukte mit Aids-Warnhinweisen versehen sein müßten. Und erst vier Monate später wurden HIV-Tests für alle Blutspenden zur Pflicht. Eine Rückrufaktion für nicht getestete Präparate blieb aber wegen einer befürchteten Blutunterversorgung aus. Wegen dieser schweren Versäumnisse und skandalöser Öffentlichkeitspolitik wurde das BGA dann am 1. Juli 1994 aufgelöst.
Für den SPD-Abgeordneten Horst Schmidbauer sind fast alle Beteiligten zu passiven Tätern geworden. Als Konsequenz aus den Vorfällen verlangte er dringend eine nationale Eigenversorgung mit Blutplasma. Bis auf den FDP-Abgeordneten Dieter Thomae begrüßten die Redner in der Bundestagsdebatte einhellig die Verschärfung des Haftungsrechts, damit durch Arzneimittel geschädigten Menschen künftig schneller geholfen werden könne. B.D.
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