Nur drei wollen ihren Kopf hinhalten

Diepgen überschwemmt Berlin mit einer Broschüre „Ein Land für alle“ / Doch der 100.000 Mark teure Werbefeldzug für Berlin-Brandenburg leidet an Pannen und mangelnder Unterstützung  ■ Von Dirk Wildt

Volker Kähne, Chef der Senatskanzlei, wollte Stimmung machen. „Die Zeit ist gekommen“, sagte er gestern, als er die Broschüre seines Hauses zur Fusion mit Brandenburg vorstellte. Es lag nicht nur an Kähnes monotonen Erläuterungen, daß es im Roten Rathaus zu keinem Aufatmen kam. 10.000 Exemplare des 56seitigen Heftes „Ein Land für alle“ mit bunten Fotos und Graphiken werden gerade unters Volk geworfen, und eine zweite Auflage soll gedruckt werden. Doch die Werbeschrift kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zeit nicht gekommen ist.

Die Volksabstimmung über ein gemeinsames Bundesland ist bekanntlich verschoben worden, und noch immer will niemand festlegen, wann sie nun stattfindet. Kähne sprach zwar vom ersten Halbjahr 1996, doch festlegen mochte er sich nicht. Wundert es da, daß die Berliner Senats- und die Brandenburger Staatskanzlei für eine Plakataktion keine prominenten Gesichter finden? Bislang soll es neben dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) nur einen bekannten Industriellen geben, der seinen Kopf für die großflächige Vereinigungswerbung hinhalten will.

Wenigstens konnte in letzter Minute verhindert werden, daß das Logo für die Länderfusion im Gelb der Olympia-Kampagne gedruckt wird. Die Symbolfarbe hätte dann wohl doch zu stark an die Niederlage der Millionen teuren Bewerbung erinnert. Aber wie bei Olympia deuten sich auch beim Vereinigungs-Werbefeldzug erste Steuerverschwendungen an. Die Brandenburger hatten bereits im vergangenen Jahr eine teure Broschüre gedruckt, die inzwischen hoffnungslos überholt ist. Sie verstaubt in der Staatskanzlei in Potsdam und ist nur noch gut für den Altpapier-Container.

Mit der Berliner Broschüre soll nun das Kräfteverhältnis von Fusions-Gegnern und -Befürwortern zugunsten letzterer Gruppe verschoben werden. Die Kritiker des Zusammenschlusses, sagte Kähne, seien in der Regel die Uninformierten. Unwissend seien die Hälfte bis zwei Drittel der Berliner. Mit höherem Wissensstand – und dazu sollen die 56 Seiten beitragen – nehme aber die Akzeptanz gegenüber der Länderfusion zu. Von einem mit Brandenburg gemeinsam gestalteten Heft habe man Abstand genommen, weil Argumente und die Interessen der beiden Länder zu unterschiedlich seien.

In der Berliner Darstellung von „Ein Land für alle“ werden anfangs sieben Gründe für ein gemeinsames Land aufgezählt und wird dann auf sieben „kritische Fragen“ geantwortet. Dem Vorwurf, Berlin geht nach 15 Jahren das Stadtstaatenprivileg verloren, treten die Autoren mit der These gegenüber, daß dieses Privileg auf Dauer sowieso nicht gesichert sei. Mit der 15-Jahres-Übergangsregelung könnte Berlin länger in den Genuß des Stadtstaatenprivilegs kommen, als dies möglicherweise Bestand habe. Und auch wenn im gemeinsamen Landesparlament 56 Prozent der Abgeordneten aus Berlin kämen, werde weder Berlin Brandenburg noch Brandenburg Berlin dominieren. Denn die Abhängigkeiten seien viel zu stark, als daß sich die einen auf Kosten der anderen entwickeln könnten.

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