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Wagenknecht überschreitet Schmerzgrenze

■ Wolfgang Gehrcke, Ex-DKPler, heute Vizevorsitzender der PDS, über die Konsequenzen, die aus dem Stalinismus zu ziehen sind, und die „Kommunistische Plattform“

taz: Sahra Wagenknecht, die Sprecherin der „Kommunistischen Plattform“, hat uns gegenüber Berichte dementiert, wonach Bisky und Gysi ihren Verbleib im Parteivorstand davon abhängig machen, daß kein Verteter der „Plattform“ hineingewählt wird. Existiert dieses Junktim wirklich oder nicht?

Wolfgang Gehrcke: Ein Junktim in dieser Art und Weise sehe ich nicht. Klar ist aber die Aussage der beiden, daß sie sich aus politischen Gründen gegen eine erneute Wahl von Sahra Wagenknecht in den Bundesvorstand der PDS ausgesprochen haben.

Der Streit um die KPF wird im wesentlichen unter dem Stichwort „Stalinismus“ geführt. Worum dreht sich der Streit wirklich: um die Aussage „endgültiger Bruch mit stalinistischen Strukturen“ oder um die Abgrenzung von links-orthodoxen Positionen?

Kein ernstzunehmender Mensch wird heute noch verteidigen, daß unter Stalin Millionen von Menschen umgebracht wurden. Von der terroristischen Seite des Stalinismus distanzieren sich heute alle. Es geht in der Auseinandersetzung aber auch darum, welche Konsequenzen aus dem Stalinismus zu ziehen sind. Für entscheidend halte ich die jüngste Aussage von Sahra Wagenknecht, wonach ein kommender Sozialismus sich mehr Demokratie leisten könnte. Das ist der Punkt, wo bei mir die Schmerzgrenze überschritten wird. Es ist schon gravierend, wenn sich Leute die Entscheidung darüber anmaßen, wieviel Demokratie sich ein Sozialismus leisten kann. Für mich gilt, daß die Demokratisierung der Gesellschaft der einzige Weg hin zum Sozialismus sein kann. Ich muß deshalb bezweifeln, daß Sahra Wagenknecht inhaltlich eine Konzeption des demokratischen Sozialismus vertritt.

Sahra Wagenknecht und ihre Freunde werfen dem Parteivorstand vor, Sozialismus zu sagen, aber Sozialdemokratie zu meinen. Ihr Hauptvorwurf: Die PDS ist auf dem Weg nach Bad Godesberg.

Ich habe noch einmal die Debatten um die Verabschiedung des Parteiprogramms vor zweieinhalb Jahren nachgelesen. Auch damals hat Sahra Wagenknecht öffentlich erklärt, wenn die PDS dieses Parteiprogramm annimmt, dann hat sie ihr Godesberg hinter sich.

Opposition, Regierungsbeteiligung oder Tolerierung: In den neuen Bundesländern hat die PDS mit ihrem 20-Prozent-Stimmenanteil keine einheitliche Linie. Muß sie sich erst mal darauf verständigen, was sie mit ihrer politischen Bedeutung anfangen will?

Vielleicht ist der Platz, den uns die Wähler und Wählerinnen zugewiesen haben, etwas größer, als wir ihn derzeit ausfüllen können. Daran müssen wir uns abarbeiten. Wir sammeln Erfahrungen. Nehmen wir aber zum Beispiel Sachsen-Anhalt: Es gab nach der Landtagswahl die schmale Chance, eine konservative Regierung abzulösen. Es war dabei ziemlich klar, daß eine Regierungsbeteiligung der PDS gesellschaftlich noch nicht tragfähig ist. In dieser Situation mußten wir uns entscheiden, und ich glaube, daß sich die PDS mit ihrem Tolerierungsbeschluß richtig entschieden hat. Ein anständiges und reines linkes Gewissen löst keine gesellschaftlichen Probleme.

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