: Unorte: Entscheidungen Von Claudia Kohlhase
Wie kommt man eigentlich dazu, sich dauernd zu entscheiden? Das ist ja furchtbar, wie viele Entscheidungen man ununterbrochen trifft und wie viele Entscheidungen einen zurücktreffen! Wenn's wenigstens was Ernstes wäre, von dem alle was hätten. Aber meist dreht sich's doch um idiotensichere Sachfragen wie ja oder nein, Milch oder Zucker, morgens oder abends und so weiter, leider fällt mir grade nicht mehr ein, außer meine eine Kollegin, die neulich davon erzählte, wie sie sich wieder ununterbrochen für Dinge entscheiden mußte, die ihr eigentlich gar nicht paßten, geschweige denn gefielen.
Es ging um weiße Blusen, natürlich kein Thema für echte Entscheidungsträger, aber es soll Leute geben, die so was immer noch tragen bzw. schon wieder, und wer will schon entscheiden, wem was paßt. Jedenfalls entschied sie sich zunächst prinzipiell dafür, daß weiße Blusen, die von ihr gekauft werden wollten, nicht gestreift sein dürften. Danach entschied sie sich für eine Anprobe; in der Kabine allerdings, die entschieden zu klein war, war sie von der Entscheidung für oder gegen Schalkragen, für oder gegen verdeckte Knopfleisten oder für oder gegen abgepaspelte Biesen völlig überfordert und hätte sich fast zu einem T-Shirt durchgerungen, wenn sie T-Shirts im allgemeinen gut gefunden hätte. Weswegen sie sich am Ende in einer Art Entscheidungsdelirium für eine ausgestellte Hose entschied, die ihr weder stand noch paßte, die aber wenigstens keine Folgen haben würde für ihr Gesamtleben, da sie sie sowieso niemals anziehen würde.
Wie man sieht, hält so was kein Mensch aus, ist aber unabdingbar, auch wenn deswegen in den Kleiderschränken der Welt Heerscharen armer kranker Hosen herumliegen. Trotzdem muß man immer wieder in die Stadt, und wenn man auch einen großen Bogen um Blusen und Hosen macht, kann es doch passieren, daß man auf einmal vor Juwelierläden steht und wieder nicht weiß, ob Smaragd vorteilhafter als Rubin ist oder ob man lieber zu Eduscho gehen sollte, um dort den Flaschenöffner mit integriertem Nußknacker oder vielleicht doch besser den Sektkübel mit implizierter Kneifzange zu kaufen.
Wer Glück hat, neben dem steht jetzt eine ältere Dame, die sagt laut und deutlich, daß Flaschenöffner wesentlich nützlicher als Sektkübel seien, und man ist aus dem Schneider. Aber selten steht vor Kaffeegeschäften ein derart entschlossen eloquenter Entscheidungsträger, und man muß wieder alles selbst machen und auch die Folgen davon nach Hause tragen, in dem Fall immerhin keine ausgestellten Hosen, sondern bloß Flaschenöffner- Nußknacker, die jetzt nur noch Spezialnüsse bräuchten. Aber da sind wir bereits auf der nächsthöheren Entscheidungsebene, und wer will da schon wieder hin. Ich frage mich oft, wie andere Leute so was machen, zum Beispiel bei Untertunnelungen – eine Entscheidung von derart entschiedener Brisanz, daß einem schwarz wird vor Augen und man sofort zu Automatik-Entscheidungen übergehen möchte. Leider weiß man noch nicht, wie derartige Entscheidungen funktionieren oder ob es sich dabei einfach um falsche oder gar keine Entscheidungen handelt. Aber das ist in etwa so zu entscheiden wie die Frage, ob man im Mantel joggen darf oder nicht. Also nicht.
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