■ Vom Nachttisch geräumt: Der weiche Stil
Politisch und ökonomisch war die Weimarer Republik die von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Inflationen geprägte Vorgeschichte des Dritten Reiches. Kulturell waren es Deutschlands wildesten Jahre. Nie wieder war Kunst so laut, so frech, so unverschämt. Aber daneben gab es die Leisen. Hochgeschätzte, nicht selten auch hochbezahlte Autoren, die den Klassenkrieg mit einer marzipanen-süßlichen Prosa begleiteten. Joseph Roth ist der bekannteste von ihnen. Eloesser gehört dazu und auch der leider fast ganz vergessene Victor Auburtin (1870–1928). Wer heute seine zarten Pastiches liest, ist fasziniert davon, wie Beobachtungen stets übersehener Nichtigkeiten schon allein durch die Art ihrer Darstellung an Interesse gewinnen, wie die zärtliche Zuwendung, die ihnen vor siebzig Jahren seitens des Schreibers widerfuhr, sich auch – durch eine Schicht deutlich erkennbarer Patina hindurch – auf den heutigen Leser überträgt. Die Patina ist freilich nicht nur die der inzwischen vergangenen Jahre. Sie stammt vom Autor selbst. Der biedermeierliche Gestus, mit dem Auburtin sich seiner Umgebung nähert, indem er sich ihrer erwehrt, muß in den zwanziger Jahren, als er seine Feuilletons über das Völkerkundemuseum, Liebespaare oder Spatzen im Berliner Tageblatt veröffentlichte, noch auffälliger gewesen sein. Seine kunstvoll versponnenen, demonstrativ weichen Annäherungen an ephemere Wirklichkeiten standen inmitten der Nachrichten-Prosa, in der die Probleme einer gegen massiven Widerstand sich herausbildenden ersten deutschen Republik verhandelt wurden. Zwischen Kapp- Putsch und Sozialisierungsdebatte eine kleine Reflexion über die im Schaufenster eines Lebensmittelgeschäfts ausliegenden Fische. Der schöne Band „Pfauenfedern“, in dem Peter Moses-Krause neunzig Feuilletons Auburtins neu vorgelegt hat, kann diesen Kontext nicht zeigen. Aus ihm wird nur deutlich, wie dumm wir wären, wenn wir die uns jetzt gebotene Chance, Victor Auburtin zu lesen, nicht nutzten.
Victor Auburtin: „Pfauenfedern“. Hrsg. von Peter Moses-Krause, Verlag Das Arsenal, Berlin 1994, 226 Seiten, 34 DM
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen