Süße Suppe für den Single

■ Gesichter der Großstadt: Bao Bao / Der Pandabär ist nicht nur Publikumsliebling des Berliner Zoos, sondern auch Samenspender für den Fortbestand seiner seltenen Art

Gegen ein Holzgestell gelehnt, hockt er in seinem zweieinhalb mal drei Meter großen Zwinger und nagt bedächtig eine Bambusstaude ab. Bao Bao, die Attraktion des Zoologischen Gartens, wirkt abgestumpft. Kein Wunder, beschränkt sich doch sein Dasein im wesentlichen auf den Verzehr der mehrmals täglich verabreichten Mahlzeiten sowie ein gelangweiltes Auf- und Abzotteln in der kleinen Zelle. So läßt er die Blitzlichtgewitter der entzückten Zoobesucher, die insbesondere bei der dreimal täglich stattfindenden Fütterung des Raubtiers mit süßer Suppe ausflippen, unbeeindruckt über sich ergehen.

Die Münder gespitzt durch den Gebrauch solch selten blöder Verniedlichungen wie „Ach, mein süßes Bärchen“, werden selbst ältere Damen albern, wenn Bao Bao die Suppenschüssel geschickt mit den Vorderpfoten anhebt und sorgfältig ausleckt. Man hat den Eindruck, daß manch eine von ihnen bedenkenlos ihr Leben für den schwarzweißen Teddy opfern würde.

Doch auch das läßt ihn völlig kalt. Wenn ihm die Zuwendungen der Gaffer zuviel wird, legt Bao Bao die Vorderpfoten auf das bankartige Holzgestell, plaziert den Kopf zwischen den Pranken und streckt den Besuchern den bärigen Hintern entgegen. Eine Geste, die den Eindruck erweckt, als wolle er sagen: Ihr könnt mir alle mal den Tüffel tuten!

Dennoch ist Bao Bao ein Publikumsmagnet des Zoos. Dafür sorgen schon die Besucher, unter ihnen zahlreiche Berlin-Touristen, für die ein Besuch bei „Schätzchen“ eine ähnlich Bedeutung zu haben scheint wie das Durchschreiten des Brandenburger Tores oder einen Bummel über den Ku'damm.

Bekanntermaßen sind Pandas Einzelgänger und die Forscher behaupten, daß die Tiere im Alter oft unverträglich werden. Doch diese ihnen nachgesagte Eigenbrötlerei basiert lediglich auf Beobachtungen von Pandas, die sich in Gefangenschaft befinden. Und bekanntlich werden selbst Menschen ein bißchen sonderbar, wenn man sie lebenslänglich in eine Zelle steckt.

Pandas benötigen normalerweise einen Lebensraum von vier bis sieben Quadratkilometern. Ihr auffälliges schwarzweißes Fell ist vermutlich als Warnung gedacht. Es vermittelt die Botschaft: Glaubt bloß nicht, daß ich eine leichte Beute, ein unbewaffneter Vegetarier bin. Tatsächlich ist der Panda ein ungemein starkes Tier, das so kräftig zubeißen kann wie ein Grizzlybär. Das muß er auch können, um die zähen Bambusstengel zu zerkleinern.

Ein merkwürdiger Grundzug dieser höchst merkwürdigen Lebewesen, zu dessen anatomischen Eigenheiten ein zusätzlicher sechster Finger an der Tatze gehört, ist ihre fast vollständige Abhängigkeit von Bambus. In Freiheit ernährt sich der Panda zu über neunzig Prozent von Bambusstengeln und Blättern. Der ursprünglich im Osten Chinas in der Provinz Sichuan beheimatete „Ailuropoda melanoleuca“, so sein lateinische Name, frißt verschiedene Teile der Bambuspflanze, vorwiegend Stengel und Blätter.

Doch erstaunlicherweise besitzt das Tier kein dafür geeignetes Magen- und Darmsystem. Sie schlucken das grob zerkaute Material hinunter, können aber mit ihrem dem menschlichen Verdauungssystem nicht unähnlichen Magen- Darm-Trakt nur etwa zehn Prozent der im Bambus enthaltenen Nährstoffe aufnehmen. Das wiederum bedeutet, daß der Panda sehr viel fressen und wieder abführen muß, um genügend Nährstoffe zu bekommen. Unter Umständen futtert ein ausgewachsener Panda täglich bis zu 55 Kilo Bambus, was etwa der Hälfte seines Körpergewichtes entspricht.

Der mittlerweile 18jährige Bao Bao wurde gemeinsam mit der gleichaltrigen Panda-Dame Tian Tian (Himmelchen) im November 1980 als Stiftung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt nach Berlin gebracht. Dieser wiederum hatte die beiden Tiere vom chinesischen Partei- und Regierungschef Hua Guofeng als Staatsgeschenk erhalten.

Seit dem Tod von Tian Tian vor fast genau zehn Jahren ist Bao Bao Single. Inzwischen hatte man die vom Aussterben bedrohte Tierart unter Naturschutz gestellt. Um den Fortbestand der Art zu erhalten, pflegen Zoologische Gärten weltweit die seltenen Tiere zu Fortpflanzungszwecken untereinander auszuleihen. Mehr oder weniger erfolgreich. Als man jedoch Bao Bao im vergangenen Jahr an den Londoner Zoo auslieh, biß er seiner Sexualpartnerin Ming Ming das rechte Ohr ab und machte damit seinem Namen „Schätzchen“ keine Ehre. Vielleicht hat sie ihm ja auch bloß nicht gefallen. Bis April wird nun eine neue Partnerin für den Single erwartet. Sie kommt direkt aus China und heißt Yan Yan. Peter Lerch