: Frauen-Abschwung
■ Wissenschaftssenator überging bei Berufung qualifizierte Wissenschaftlerin / Aufschwung Ost vor Ausbau der FU?
Berufungen sind ein schmutziges Geschäft, bei dem bekanntlich nicht immer die Qualifiziertesten zum Zuge kommen. Besonders oft geraten Frauen unter die Räder – unter den Ordinarien an der Freien Universität sind nur vier Prozent weiblich. Doch selbst wenn Wissenschaftlerinnen auf Platz eins der Berufungsliste gesetzt werden, ist ihnen in Berlin der Ruf noch keinesfalls sicher. Schon im vergangenen Jahr hatte Wissenschaftssenator Manfred Erhardt auf eine Professur für Literaturwissenschaft statt Claudia Brodsky den zweitplazierten Gert Mattenklott berufen.
Nun gibt es einen neuerlichen „Berufungsskandal“, wie es die FU-Frauenbeauftragte Christine Färber nennt. Bei der Neubesetzung eines Lehrstuhls für Grundschulpädagogik hatte die Berufungskommission Renate Valtin, derzeit an der Humboldt-Universität, gemeinsam mit Götz Krummheuer von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe auf Platz eins der Berufungsliste gesetzt. Nach dem Landesgleichstellungsgesetz eigentlich ein klarer Fall, glaubten Färber und Valtin gleichermaßen. Die Frau hätte bevorzugt eingestellt werden müssen, denn eine gleichrangige Plazierung bedeutet die Feststellung einer gleichwertigen Qualifikation.
Erhardt jedoch berief Krummheuer, den nach seiner Ansicht besser Qualifizierten. Er habe eine „eindeutig leistungsbezogene Auswahl getroffen“, so seine Sprecherin Monika Grütters. Eine gesetzliche Verpflichtung, die Frau zu berufen, bestehe nicht: „Wenn das so eindeutig ist, warum haben Sie Frau Valtin dann nicht auf Platz eins gesetzt?“ Da Valtin erst seit Sommer 1992 an der HU lehrt, wäre zudem die dreijährige Sperrfrist, während der neuberufene Professoren nicht die Uni wechseln dürfen, erst am 31. März ausgelaufen. Die FU-Professur „wäre also ein paar Monate verwaist“.
Die Frauenbeauftragte Christine Färber hält dagegen, daß Erhardt es mit Berufungen nicht immer so eilig hatte: „Manchmal liegen Listen monatelang beim Senator.“ Auch Krummheuers bessere Qualifikation vermag sie nicht zu sehen. Im Fach Grundschulpädagogik sei Valtin mit wesentlich mehr Veröffentlichungen ausgewiesen, und „gerade Veröffentlichungen sind dem Senator ja immer sehr wichtig“.
Nach Ansicht von Dieter Lenzen, Dekan des Fachbereichs Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften, ist weder Krummheuer noch Valtin für den Lehrstuhl besser geeignet. „Wir stehen dazu, daß beide gleich qualifiziert sind.“ Er habe den Senator um Mitteilung gebeten, weshalb das Gleichstellungsgesetz übergangen wurde. Eine Antwort steht noch aus, doch vermutet er dahinter den Beschluß der Kultusministerkonferenz, Professoren von Ost-Unis fünf Jahre lang nicht wegzuberufen. „Wir sind uns nicht sicher, was höherrangiges Recht ist.“
Letztlich, glaubt Lenzen, ist das Problem aber weder juristischer noch frauenpolitischer Natur. „Man muß das auf einer anderen Ebene diskutieren“, sagt er und sieht als Motiv den politischen Willen, die Humboldt-Universität zu Lasten der FU auszubauen. Vor diesem Hintergrund könne man es sich nicht leisten, durch den Weggang einer renommierten Wissenschaftlerin „die Humboldt-Uni zu schwächen“. Ralph Bollmann
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