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Europas Langmut endet in Grosny

■ Aus Tschetschenien zurückgekehrte OSZE-Delegation berichtet von katastrophaler Lage / Russischer Menschenrechtler Sergei Kowaljow warnt den Europarat vor der Aufnahme Rußlands

Moskau (taz) – Einen sofortigen „humanitären Waffenstillstand“ forderte die Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gestern nach ihrer Rückkehr aus Tschetschenien in Moskau. Die Lage der noch etwa 15.000 verbliebenen Einwohner Grosnys, die seit Wochen in den Kellern der belagerten Stadt ausharren, ist nach den Worten des ungarischen Delegationsleiters, Istvan Gyarmati, katastrophal. Sie müßten dringend mit dem Nötigsten versorgt werden.

Sichtlich alarmiert über die Brutalität erklärte Gyarmati: „Die Menschenrechte wurden vor und während des Konflikts in Tschetschenien ernsthaft verletzt. Die Anwendung militärischer Gewalt in diesem Ausmaß und in dieser Form widerspricht den Prinzipien der OSZE.“ Sowohl die russische als auch die tschetschenische Seite hätten sich die Verletzung von Menschenrechten vorzuwerfen, sagte er weiter. Er wollte aber nicht konkreter werden und begründete seine Zurückhaltung damit, daß die Delegation zunächst der Organisation Bericht erstatten werde.

Der von Moskauer Menschenrechtsorganisationen erhobene Vorwurf, russische Militärs hätten tschetschenische Gefangene gefoltert, hat sich laut Gyarmati nicht bestätigt. Das habe der Besuch eines Gefangenenlagers im Operationszentrum der russischen Armee in Mozdok ergeben. „Wir haben das Lager besichtigt, mit Gefangenen gesprochen, aber Beweise für Folterungen konnten wir keine feststellen“, sagte Gyarmati und bedauerte, daß dem russischen Menschenrechtsbeauftragten Sergei Kowaljow verweigert worden war, an der OSZE-Reise teilzunehmen.

Kowaljow hatte vergangene Woche angekündigt, er werde Foltervorwürfen gegen die russischen Truppen nachgehen. Vermutlich auf Betreiben des Verteidigungsministeriums hinderten russische Soldaten ihn daraufhin daran, sich der Delegation anzuschließen.

Nicht alle OSZE-Vertreter hielten sich an zurückhaltend-diplomatische Formulierungen: „Der Besuch in Grosny war dramatisch“, erklärte der Finne Rene Nyberg. „Erst nach dem Zusammentreffen mit General Babitschew während unserer dreitägigen Reise erfuhren wir, wie die Lage in Grosny tatsächlich aussieht.“

Babitschew hatte im Dezember Schlagzeilen gemacht, nachdem er sich zunächst weigerte, „verbrecherische Befehle“ auszuführen und auf friedliche Demonstranten zu schießen. Der General beklagte, die Flüchtlingsfrage würde der Armee überlassen, die über keinerlei Ressourcen verfüge, um das Problem zu bewältigen. Im Gegensatz zum offiziellen Moskau unterstrich der Feldgeneral, die Tschetschenen dächten nicht daran zu kapitulieren, der Krieg sei alles andere als beendet.

Der russische Menschenrechtler Sergei Kowaljow besuchte gestern in Straßburg die Parlamentarische Versammlung des Europarates. Die 236 Abgeordneten aus 33 Mitgliedsstaaten werden bis Freitag unter anderem über die russische Militärintervention in Tschetschenien debattieren. Gegenüber Vertretern des Rates bezeichnete Kowaljow gestern die Aufnahme Rußlands in die Organisation als „unmoralisch, solange dieser Krieg andauert“.

In Tschetschenien setzten die russischen Truppen unterdessen ihren Artilleriebeschuß des Zentrums von Grosny fort – trotz offiziell angekündigter Beendigung der Kämpfe. Klaus-Helge Donath

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