12 Stunden ohne Wasser

■ Kein Essen, kein Sex, kein Nägelschneiden – 25.000 Bremer Moslems fasten

Heute klingelte bei Ly Cheik-haissa der Wecker schon um fünf statt um sieben. Der Franzose senegalesischer Abstammung setzte sich noch vor Sonnenaufgang an den Frühstückstisch: Reis, Fleisch, Eier aß er, dazu Wasser und eine Multivitamintablette. Seit heute ist wieder Ramadan. Bis zum 2. März fasten die BremerInnen mulimischen Glaubens. Ly Cheikhaissa raucht also tagsüber nicht, trinkt und ißt nicht, verboten ist auch Geschlechtsverkehr. „Ich versuche einfach, ein bißchen moralischer zu sein“. Erst heute abend, ab etwa 18 Uhr, wenn die Sonne untergegangen ist, wird er wieder essen, möglichst Fleisch, aber auch nicht üppiger als sonst. Möglichst mit Freunden – aber auch das ist nichts Besonderes: „Im Senegal ißt man nie alleine“, sagt er, „Europäer denken deswegen, daß wir ein Fest feiern“.

Ein bißchen moralischer sein? Aydin Findici, der Vorsitzende des „Türkischen Zentralverbandes im Land Bremen“ faßt dieses Moralische genauer: „Wenn wir hungern, haben wir die Gelegenheit, an die Hungernden in der Welt zu denken.“ Deshalb müßten die MuslimInnen zehn Mark im Ramadan spenden. Die Moschee leite das Geld weiter zum Beispiel nach Bosnien oder in den Sudan.

Mit meditativer Versenkung, wie in fernöstlichen Kulturen in Fastenzeiten üblich, hat das Fasten der MuslimInnen weniger zu tun. Die im Ramadan allabendliche Predigt befaßt sich durchaus mit Weltlichem: Anläßlich des Erdbebens in Japan spricht der Imam etwa darüber, wie man sich bei Erdbeben religiös verhalten könne, erzählt Findici. Und anläßlich des Tschetschenienkrieges suche der Imam im Koran nach ähnlichen Fällen und berichtet, wie sich Mohammed damals verhalten hat.

So steng die Regeln für MuslimInnen tagsüber sind – etwa kein Beischlaf, nicht die Nägel schneiden – so locker geht es nach Sonnenuntergang zu. Fatma C. (42) von der Grohner Düne kocht dann schon mal für zehn, elf Personen, auch ein bißchen feiner als sonst: gefüllte Weinblätter, gefüllte Auberginen, Lammfleisch, hinterher mehrere Sorten Nachtisch, auf jeden Fall viel Baklava. Viele Gläubige zum Beispiel der Mevlana-Moschee in der Lindenhofstraße essen zusammen in der Moschee selbst. Ab 20 Uhr dann sind die MuslimInnen von allen Verpflichtungen befreit – man muß sich nicht waschen, nicht die Zähne putzen, nicht beten..., sagt Findici.

Nicht fasten müssen übrigens Reisende, Schwangere, Kranke. Kinder sollen gar nicht fasten. Ab 12, 13 Jahren ist es ihnen freigestellt mitzutun. Özlem P. aus Bremen Nord, 17 Jahre, hat mit 13 angefangen. Es mache ihr überhaupt nichts aus, sagt die Schülerin. Sie ißt auch nicht mehr als sonst am Morgen, schon gar nicht Suppen.

Übrigens sollen auch Frauen, die gerade menstruieren, nicht fasten – wegen mangelnder Reinheit. „Kann man ja alles nachholen“, sagt Findici. Er zum Beispiel fastet nicht an Tagen, an denen er mit Arbeit zugeschüttet ist. Wenn man sich sehr schwach fühlt, solle man trinken und essen: „Das Leben ist wertvoller als ein Tag Fasten – das Fasten kann man nachholen, das Leben nicht“.

Auch das Christentum kennt eine Fastenzeit: Sie geht dieses Jahr von Aschermittwoch (1.3.) bis Ostern (16.4.). Allerdings verzichteten ChristInnen früher nicht aus Essen allgemein, sondern auf's „Vergnügen“: Bernd Möllers etwa, Leiter des Bildungswerks der Katholiken, mußte als Kind auf Bonbons verzichten und als Jugendlicher auf Tanzveranstaltungen. Die Fastenzeit war zum reinen Ritual geworden, sagt er heute. Erst in den letzten Jahren hätten vor allem evangelische ChristInnen das Fasten mit neuem Sinn gefüllt und auch andere Formen des Verzichts vorgeschlagen: 7 Wochen ohne Auto, Alkohol, Fernsehen... Um frei zu werden für Anderes und Andere. Der muslimische Ramadan dagegen sei, sagt Bernd Möllers mit aller Vorsicht, wahrscheinlich für viele eher ein Ritual als Glaubensinhalt, so wie es das Fasten lange für die KatholikInnen war.

Die evangelische und die katholische Kirche stellen am 8.2., 20 Uhr, in der Holleralle 75 neue Formen des Fastens und des Verzichts vor. cis