■ Im Countdown auf der Doku-Schiene
: Die Feuilletons der Republik verraten, was sie zu Ernst Jüngers 100. Geburtstag am 29. März so alles planen - Eine Jubiläumsanfrage

Die ersten Geburtstags- Ganzseiter über Ernst Jünger sind bereits erschienen (Freitag, Junge Welt, Die Woche). Und bereits zerfetzt: Jünger-Kenner Heinz Ludwig Arnold über Peter Glotzens Besinnungsaufsatz: „Blitzschreibe, kenntnisfrei, oberflächlich, salvatorisch, wilhelministisch“. Kurz: ein Sozialdemokrat, der „nicht abseits stehen“ wolle.

Und doch sind dies bloß die ersten Vorzeichen des medialen Stahlgewitters, das zu Jüngers Hundertstem am 29. März niedergehen wird. Damit unsere Leser dabei nicht in der Etappe hängenbleiben, sondern an vorderster Front mit dabeisein können, hat sich die taz einen besonderen Service ausgedacht. Sie fragte Ende Dezember – unter zugegebenermaßen verfremdeter Identität – bei hundert Kulturabteilungen der Republik nach, was von den Marmorklippen des Feuilletons auf Leser, Hörer und Zuschauer plumpsen wird.

Die vierzig bislang eingegangenen Antworten auf den Brief unseres jungen ostdeutschen Journalistik-Studenten aus Wismar – siehe Dokumentation – geben einen ersten Überblick. Am Ende stellte sich der rein quantitative Aspekt (die Zeit plant drei Artikel) weit weniger anstößig dar als folgende Erkenntnisse:

1. In den bürgerlichen Kulturabteilungen scheint es mehr Spontaneität zu geben als gedacht. Helmut Döring vom Feuilleton des Hamburger Abendblatts schreibt: „Als Tageszeitung kann ich Ihnen beim besten Willen nicht zu Weihnachten 1994 sagen, was ich Ende März 1995 im Kultur-Ressort mache, auch wenn Herr Jünger 100 Jahre alt werden sollte.“

Auch das Kultursupplement „Geistige Welt“ der Tageszeitung Die Welt läßt sich noch Zeit: „Eine Tageszeitung ist ein Medium, das es liebt, von der Hand in den Mund zu leben. Deshalb sind langfristige Planungen eher die Ausnahme.“ Locker erscheinen möchte auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Alles weitere wird sich, wie bei Zeitungen üblich, mehr oder weniger spontan ergeben.“ Weiteres zur FAZ siehe unten.

2. Gaaanz genau was sie wollen, wissen hingegen die beiden Rechts„intellektuellen“ Ulrich Schacht und Heimo Schwilk von der Welt am Sonntag (WamS). Ressortleiterin Kultur Hilke Prillmann M.A.: „Anbei der Artikel zweier Kollegen, die im Oktober Ernst Jünger besucht und interviewt haben. Voraussichtlich werden Ulrich Schacht und Heimo Schwilk auch zum 100. Geburtstag über Jünger schreiben, da sie seit Jahren Kontakt zu ihm haben.“

Ein Zitat aus dem 94er-Artikel der beiden Zitelmännchen von der „Selbstbewußten Nation“: „Die verunglückte deutsche Nationalgeschichte ist Jünger eine so dauerhaft schmerzhafte Erfahrung, daß er in den Tagebüchern immer wieder die tatsächlich geschehene mit der möglichen Geschichte konfrontiert, als wolle er zeigen, daß sich deutsches Wesen nicht in dem erschöpft, was sich zwischen 1933 und 1945 in Deutschland scheinbar zwanghaft vollzog.“

Doch damit nicht genug. Denn da ist noch der Tip der beiden Wämse für die Autofahrer unter den Jünger-Jüngern: „Wer Deutschlands größtem Dichterphilosophen begegnen will, der muß eine Reise an den Rand des wiedervereinigten Landes unternehmen.“

Jünger selbst darf am Rande einen „Gourmet-Hinweis“ loswerden: „Dorsche sind die schmackhaftesten Fische bis heute geblieben.“

3. Mit Datum vom 29. Dezember 1994 teilt Gustav Seibt vom FAZ-Feuilleton höchst konspirativ mit, daß das Blatt ab Februar Jüngers „jüngsten“ Tagebuch- Band vorabdrucken wolle und „zum Termin selbst einen längeren Beitrag“ plane: „Bitte behandeln Sie meine Angaben vorderhand vertraulich.“

Schon zwei Tage später, am 31. Dezember, wird der Vorabdruck des Jünger-Tagebuchs den dreihunderttausend Lesern von Literaturchef Frank Schirrmacher stolz und salbungsvoll im Feuilleton angekündigt. Auszug: „Drei Tage nach seiner Geburt beging das sich am Ziel seiner Bestimmung wähnende Deutsche Reich den achtzigsten Geburtstag Otto von Bismarcks.“ Was zu Bismarcks 180. Geburtstag in der FAZ erscheint, wird noch nicht mitgeteilt. Wegen der Vertraulichkeit.

4. Für das erste Programm der ARD darf – na wer wohl – der kohlrabenschwarze Bayerische Rundfunk mit einem sechzigminütigen Feature den Jubilar covern (29. März). Mögliche Rotfunk-Anstalten des Networks hatten das Nachsehen. Wie eine kurze Telefonrecherche beim Hessischen Rundfunk ergibt, waren die CSUler einfach die schnellsten. Schon sehr früh, etwa ein Jahr vor dem Jünger-Geburtstag, trugen sich die Münchner auf der sogenannten Feature-Liste der ARD ein. (Das verschlafene MDR-Fernsehen geht in seinem Antwortschreiben hingegen noch davon aus, daß das ARD-Feature vom WDR produziert wird.)

5. Wunder der Exklusivität: Das ZDF kündigt neben Beiträgen im „heute-journal“ sowie in „Frontal“ (Wolfgang Herles) und „aspekte“ für den Vorabend des Geburtstags ein neunzigminütiges Interview von Gero von Boehm und Jünger- Freund Rolf Hochhuth mit Jünger an. Zu diesem habe sich der Alte erst „nach jahrelangen Bemühungen bereit erklärt“. Das ZDF habe an dem Gespräch, das am 1. April bei arte wiederholt wird, so dröhnt es vom Mainzer Lerchenberg, „die Exklusiv-Rechte erworben“. Komisch. Denn auch das führende Blatt der früheren Bundeshauptstadt teilt stolz mit: „Für den General-Anzeiger schreibt über den umstrittenen Autor ein ebenso umstrittener Autor: Rolf Hochhuth.“ Auch das WDR-Fernsehen wird übrigens ein bißchen Hochhuth im Programm haben. Teile eines früheren WDR-Films Hochhuths über Jünger werden in einer „Video-Collage“ zu sehen sein, „die sich u.a. mit der Rezeption befaßt“.

6. Die Zuschauerredaktion des Jugendfernsehens RTL 2 dankt für „Deinen Anruf (es war ein Brief, Anm. d. Red.) und Dein Interesse an RTL. Wir gehen davon aus, daß in den Action-News über den 100. Geburtstag von Ernst Jünger berichtet wird. Sollte dem nicht so sein, bitten wir um Dein Verständnis. Weiterhin viel Spaß und gute Unterhaltung bei RTL 2.“

Gute Unterhaltung wünschen auch der Schwestersender Vox und Kirchs Konkurrenzkanal Pro 7: „keine Specials im Programm“.

7. Und was schickt Gala, das Klatsch- und Promi-Magazin aus dem Hause G + J? Eine selbstgedrehte Javaanse-Jongens-Weihnachtspostkarte: „Wir haben bezüglich Ernst Jünger keine großen Pläne.“

8. Heftig bei der Branchen-Ehre gepackt fühlen sich drei regionale Blätter. So hält etwa Helmut Söring vom Hamburger Abendblatt fest: „Wir nennen immer unsere Quellen, wenn wir abschreiben.“ Auf Unabhängigkeit pocht auch die Berliner Morgenpost. Dieter Strunz: „Wir dürfen Ihnen aber versichern, daß wir uns bei unserer Berichterstattung nicht von der Arbeit anderer Medien beeinflussen lassen.“

Am empörtesten auf die Fragestellung reagiert aber die Hannoversche Allgemeine. Es doziert Dr. Ekkehard Böhm: „Einen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung überregionaler ,Leitmedien‘ und der regionaler Zeitungen, wie von Ihnen vermutet, gibt es nicht. Im übrigen ist der Journalistenberuf inzwischen derart akademisiert worden, daß in zahlreichen Redaktionen kompetente Leute sitzen, die Ihr Gebiet kennen und sich von Kollegen – mögen sie in der Zeit oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreiben – nichts diktieren lassen. Die Anlässe zur Berichterstattung sind natürlich überall die gleichen. Nur liegt es an der Natur einer Zeitung, was sie für ihre Leser für berichtenswert hält – Bild wird wohl kaum auf den Geburtstag Ernst Jüngers eingehen und wenn doch, dann sicher in einer Weise, die sich von der Hannoverschen Allgemeinen in erheblicher Weise unterscheiden wird. Abschreiben aber ist für jeden Journalisten ein Verstoß gegen das Berufsethos. Niemand, der als seriös gelten will, tut dies. Durchgehende Fehler können allerdings auftreten, wenn kleinere Zeitungen Agenturtexte abdrucken oder wenn Angaben zur Biographie einem Informationsdienst entnommen werden. Besonders bei Filmschauspielern ist es oft schwierig, das genaue Geburtsdatum zu ermitteln.“

9. Jünger-Abstinenz räumen ganz schamlos drei Sender ein. RTL: „Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß es in unserem Hause keine Kulturredaktion gibt.“

n-tv: „Die von Ihnen angefragte Planung zu o.g. Berichterstattung liegt in unserem Hause nicht vor, da n-tv als Nachrichten-Spartensender keine gesonderte Kulturredaktion hat.“

premiere: „Vor kurzem wurde die Programmstruktur in unserem Sender verändert. Diese Umstrukturierung bedeutet unter anderem, daß wir im Bereich Dokumentation derzeit nur an Natur- und Tier-Themen interessiert sind, die hauptsächlich synchronisierte Kaufproduktionen (z.B. von National Geographic) sein werden. Somit müssen wir Ihnen leider mitteilen, daß wir zu dem o.g. Thema keine besondere Berichterstattung vornehmen, bzw. auf der Dokumentar-Schiene nichts geplant ist.“

10. Beim Auslandsfernsehen der Deutschen Welle, dem Programm, das man überall auf der Welt sehen kann, nur nicht im Inland, gibt Kulturchef Axel Radler ganz schön an: „Augenblicklich bemühen wir uns darum, ein Interview mit ihm zu bekommen“ – doch dann kriegt der Mann die Kurve so gerade noch, und es folgt in besserer Einsicht das Komma –, „aber die Aussichten sind recht gering. Deshalb werden wir wohl auf Archivmaterial zurückgreifen müssen, um einen kurzen Überblick über sein ereignisreiches Leben geben zu können.“

11. HR-Literaturchef Karl Corino sieht sich zu einem Seitenhieb auf die Kommerzradios herausgefordert: „Für Ihre zentrale Frage, ,wie sich die Berichterstattung der überregionalen Leitmedien bei den kleineren Medien niederschlägt‘, werden unsere Sendungen vermutlich nicht viel abwerfen, da sich die privaten Rundfunk-Anstalten (etwa FFH hier in Hessen) mit Kultur ja nicht abgeben – das wirft zu wenig Quote ab...“

12. Nur ganze drei Feuilletons gehen halbwegs ironisch auf den Brief ein. Thomas Assheuer von der Frankfurter Rundschau: „Selbstverständlich denken wir ständig an Ernst Jünger. Wenn wir nicht an ihn denken, planen wir seinen 100. Geburtstag. Im Ernst: Wir werden E.J. so würdigen, wie er es verdient.“

Hanjo Kesting vom NDR-Kulturfunk: „Wir werden den Jünger- Geburtstag in unserem Programm nicht übermäßig hoch hängen (aber auch nicht niedriger als die Jubiläen etwa von Hans Henny Jahnn und Voltaire).“

Hans Bertram Bock von den Nürnberger Nachrichten: „Mit dem Phänomen Jünger – das Interesse nimmt immer mehr ab – haben wir uns vor 20 Jahren noch grundsätzlich rumgeplagt. Die Ablehnung ist geblieben. Zum 100. bestellen wir bei einem Mitarbeiter einen (1) Text. Mehr wird es nicht geben!“

13. Dr. Annelen Kranefuss von der Radiokultur des WDR schließlich hat Jünger in voller Absicht schon zum 99. abgefeiert. Kein Feature auf ihrem WDR 3: „Da sich schon allein wegen des biologischen Faktums eines 100. Geburtstags die Jubiläumssendungen und Presseberichte häufen werden, habe ich schon im vorigen Jahr die Absicht gehabt, die unvermeidliche Redundanz zu verringern. Vielleicht gehört ein solcher Vorlauf von einem Jahr auch schon zu den Wirkungen der zunehmenden Medienkonkurrenz. In meine Überlegungen, den 99., nicht aber den 100. Geburtstag zu bedenken, sind auch Erfahrungen mit einer zunehmend früher angeworfenen Jubiläumsmaschinerie eingeflossen.“

Doch was nützt es, all das antizyklische Verhalten? Auf WDR 2 läuft schon seit Anfang Januar eine sonntägliche „Rubrik mit kurzen Jünger-Zitaten (O-Ton), gewissermaßen im Countdown zum Geburtstag“.