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Höchste Fohlennot!

■ Neu: Ammenstuten-Notruf für mutterlose norddeutsche Fohlen / Biestmilch unersetzlich

„Und nun noch eine Durchsage.“ Direkt nach dem Stau auf der A 1 kommt bis zu 50 Mal im Jahr über Radio Bremen ein Notruf: einem Fohlen ist unter oder direkt nach der Geburt die Mutter gestorben. Eile tut not. Denn innerhalb weniger Stunden muß „Biestmilch“ her, die erste und wichtigste Milch der frischgebackenen Pferdemutter. Gelingt dies nicht, geht das Fohlen ein in die ewigen Jagdgründe.

Also sucht man ganz schnell nach einem umgekehrten Fall, einer Stute, deren Fohlen die Geburt nicht überlebt hat. Die Suche zu koordinieren, war bislang eine der vornehmsten Aufgaben des Rundfunks. Vorbei! Denn ab heute gibt es den Ammenstuten-Notruf. Der Ammenstuten-Notruf ist im Prinzip ein Telefon und ein Mensch, der tags und insbesondere nachts ansprechbar ist. Der Bremer Tierschutzverein, bei dem bisher oft die verzweifelten Anrufe ankamen, hatte die Idee, eine Pferdeklinik anzusprechen. Dr. Wehrhahn in Sottrum, zu dessen Patienten auch die Pferde der Kaffeefirma Jacobs gehören, war bereit (er erhofft sich eine „diskrete Werbung als Abfallprodukt“). Veterinäre gehen davon aus, daß allein im Bremer Großraum jährlich 300 „Ammenstuten“ benötigt werden.

Die Biestmilch, wissenschaftlich „Kolostral-Milch“, enthält beim Pferd hochkonzentriert Antikörper gegen Infektionen, die bisher noch niemand synthetisch herstellen konnte. Sie löst zudem das „Darmpech“ auf, wie Gestütmeister Kaars von Jacobs' Fährhof-Gestüt berichtet. „Große Betriebe frieren immer etwas Biestmilch ein.“ Ist ein Muttertier nach der Geburt „abgeblutet“, melkt man sogar noch die tote Stute. „Ein bis zwei Tassen - damit ist einem Fohlen wenigstens etwas geholfen.“

Dabei ist das Melken auch nicht ohne. Kaars: „Wegen der kleinen Zitzen kann man sie nur mit den Fingerspitzen melken. Junge Stuten sind auch mal kitzlig, die muß man beruhigen.“ Vor dem Pferdemelken hat auch Dr. Wehrhahn Respekt: „Die treten einem ins Gesicht.“ Bis heute war er immer schneller.

Auf den naheliegenden Gedanken, daß es demnächst vielleicht auch Hotlines für mutterlose Katzen, Hunde und Goldhamster gibt, kommt man beim Bremer Tierschutzverein nicht. Herr Apel, Vordenker in Sachen Ammenstuten-Notruf, verweist auf die leichtere Handaufzucht etwa von Katzenwelpen. Auch für Babyhamster, Babysittiche und Babyschildkröten läßt sich in der Regel Ersatzfutter finden. Niemals ist es so kritisch wie beim Fohlen, das ohne Biestmilch „elendiglich kaputtgeht“ (Apel). Apel ist froh, daß er jetzt nicht mehr beim Radio für jede Durchsage betteln gehen muß.

Es ist nämlich keineswegs leicht, via Rundfunk einen Notruf abzusetzen. Zu groß ist die Gefahr, daß sich jemand einen Jux erlaubt. Schulleiter etwa haben alle ein Codewort für den Ausfall-Fall. Beim Fohlennotruf sind immer mehrere Telefonate nötig. Zwar besteht der Verkehrsfunk, der bisher die Ammenstuten-Notrufe durchführte, auf einer Erfolgsquote von 80 Prozent - aber die Sendesekunden sind, sagt man im Radio, kostbar. Ob Radio Bremen weiter, trotz Zentralstelle, die Durchsagen macht, entscheiden jetzt die Abteilungsleiter.

Nichts, aber auch gar nichts hat diese Aktion der Tierschützer und Veterinäre nach den Worten Apels mit dem hart umkämpften Markt der Stutenmilch zu tun. Die wurde besonders zur DDR-Zeit auf großen Farmen produziert und zu horrenden Preisen abgegeben. Man erhält sie in Apotheken. Der Liter vom Schockgefrorenen kostet mindestens 30 Mark. Fohlen versaufen übrigens locker sechs Liter davon am Tag. BuS

Und hier der Ammenstuten-Notruf: 04264/3561.

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