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Zerstückelte Körper

■ Ein Film über den Weg allen Fleisches von Mischka Popp und Thomas Bergmann ("Körper", 22.15Uhr, ZDF). Am 22. März läuft dann in der ARD ihre Dokumentation über Brücken, die ins Nichts führen.

Die Wiederkehr des Körpers geschieht simultan mit seiner immer rigideren Zurichtung. Fitneß- und Sportstudios schossen während der vergangenen Dekade wie Pilze aus dem Boden. Eine Fülle von Selbsterfahrungs- und Körpertherapien brachte Leidende aller Art auf die Suche nach Authentizität und Selbstübereinstimmung. Mit dem gesteigerten Interesse an der eigenen Körperlichkeit korrespondiert ein verändertes Ernährungs- und Gesundheitsbewußtsein. Die Fähigkeit zur geschmeidigen Körperrepräsentation wird zum Statussymbol für körperliche Vollwertigkeit und soziale Integration.

Jene Industrie von Körperdiensten, die „form“-vollendet das äußere Erscheinungsbild stylen, aber auch den Umbau von Selbstdarstellungsstilen entwerfen, haben Mischka Popp und Thomas Bergmann in ihrer neuen Dokumentation „Körper“ unkommentiert beobachtet: Vier Monate „pump up the volume“, und der Bodybuilder ist für ganze zwei Tage wettkampffit. Für ihn geschieht das „alles im Kopf“.

Um die geistige Leistungsfähigkeit von Topmanagern zu ermitteln, schaut dagegen der Headhunter „zu achtzig Prozent auf den Körper“. „Wir haben zwei Busensorten da“, sagt die alterslos schöne Dame von der Schönheitsfarm. Skeptisch ist allein der Chirurg. Denn das vermaledeite Fett kann man eben „nicht von Kopf bis Fuß absaugen“.

Fast eineinhalb Jahre ist es her, daß der letzte Film des dokumentarischen Duos im Fernsehen lief. Die Frankfurter nehmen sich so viel Zeit für ihre Arbeit, wie wir das sonst nur aus des Jack-Daniels- Reklame kennen. „Herzfeuer“ (November 1993) war ein Film über Sexualität, in dem „nur“ geredet wurde und der trotzdem über 100 Minuten zu fesseln vermochte. Auch „Körper“ fasziniert, weil er die jeweils Betroffenen reden läßt und dabei den Blick auf das Wesentliche richtet. Das Thema wird nicht von Experten zerredet, das Sujet nicht linear durchexerziert. Der Film wuchert.

Assoziativ verbinden Popp/ Bergmann unterschiedlichste Aspekte, von der Magersucht bis zu Schlangentänzerin, von der Pathologie bis zur Modelagentur. Beobachtend erhält der Zuschauer die Möglichkeit, den roten Faden in einer Komplexität zu assoziieren, die kein Off-Kommentar zu leisten vermag. Die Interviews sind verhalten geführt. Es geht nicht nur um den Inhalt der Worte, sondern darum, wie der jeweilige Gesprächspartner sich darstellt. Beiläufiges, Nebensächliches und Alltägliches rücken ins Bild. In einer Frankfurter Jungfleisch-Agentur schlingt ein blasierter Dandy das Maßband um die Hüfte eines Models: „Ich hätte halt gern, daß es mit der Taille auf mindestens 64 runtergeht“, sagt er mit verkniffenem Grinsen.

Die Beobachtung dessen, was sonst kaum jemand (so) beobachtet, hat bei den beiden Dokumentarfilmern inzwischen Tradition. Auf ihre in Lokalzeitungen geschaltete Anzeige, „Verfeindete Nachbarn für Fernsehdokumentation gesucht“, meldeten sich Hunderte von sendungsbewußten Streithähnen. „Giftzwerge. Mit bösem Gruß vom Nachbarn“ dokumentierte 1990 den sublimierten Nachbarschaftskrieg. Rund eine Million Deutsche führen den Krieg der Gartenzwerge. Es geht um quakende Frösche, überstehende Zweige, harmlose Wichtel.

Lange bevor der Fall des Bauunternehmers Schneider ruchbar wurde, porträtierten Popp/Bergmann in „Großwildjagd“ (1991) den Pforzheimer Hochstapler Heinz Steinhart. Der baute sogenannte „Spaßbäder“ und versprach blaue Wunder und vergeigte 400 Millionen. Mit bewundernswerter Liebe zum Detail haben Popp/Bergmann auch hier wieder Tratsch und Verleumdung, Gerüchte und Gespräche so zusammengestellt, daß der kollektive Irrsinn hervortritt.

In „Die Heimwerker – Ein Bericht aus deutschen Höhlen“ (1992) führten Popp/Bergmann Fachgespräche im Hobbykeller. Wie urbane Höhlenforscher erkundeten sie das in Nut und Feder rundum verschalte deutsche Eigenheim. Was sie dort vorfanden, sind Black&Decker-Werkbank- Junkies, die sich „mit der Bosch- Kombi zu sich selbst durchbohren wollen“ (Die Zeit).

Zwei weitere Projekte haben die Frankfurter inzwischen vollendet. „Murks“, ein Film über Brücken, die ins Nichts führen, läuft am 22. März in der ARD und vollendet nach „Giftzwerge“ und „Heimwerker“ die Trilogie des urbanen Irrsinns. „Unten“ ist der vorläufige Titel einer Dokumentation über Obdachlose, deren ARD-Sendetermin noch nicht feststeht. Für einen kommerziellen Sender konzipieren die beiden gerade eine Talk-Show, bei der nur Moderatoren eingeladen werden. Arbeitstitel: „Bitte, bring dich um!“ Manfred Riepe

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