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RadlerInnen zahlen für Autos

Studie von zwei Umweltbundesamt-MitarbeiterInnen belegt: 152,9 Milliarden Mark hat der deutsche Autoverkehr die Allgemeinheit 1993 gekostet  ■ Von Hannes Koch

Den BefürworterInnen der ökologischen Steuerreform liefert eine bislang unveröffentlichte Untersuchung beste Argumente. Zwei MitarbeiterInnen des Umweltbundesamtes (UBA) in Berlin haben die „externen Effekte des Verkehrs in Deutschland“ berechnet. Unter dem Strich summieren sie danach Mindestkosten in Höhe von 162,6 Milliarden Mark jährlich, von denen „94 Prozent, nämlich rund 152,9 Milliarden“ auf das Konto des Kraftfahrzeugverkehrs gehen.

Die Kosten der vom Straßenverkehr verursachten Luftbelastung betragen der Studie zufolge 25,1 Milliarden Mark pro Jahr. Darin enthalten sind die Behandlungskosten für Atemwegserkrankungen von Menschen, die an vielbefahrenen Straßen leben. Schäden an Gebäuden werden ebenso berücksichtigt wie geringere Erträge in der Landwirtschaft und Einkommensverluste von WaldbesitzerInnen, die dadurch zustande kommen, daß die Bäume in Gegenden mit schlechter Luft langsamer wachsen als in sauberen Gebieten. Fahrende und stehende Autos verunreinigen den Boden und die Gewässer. Öl, Benzin und Frostschutzmittel sickern ins Erdreich und gelangen über Umwege in die Wasserwerke der Kommunen, wo sie wieder herausgefiltert werden müssen. Auch das kostet Geld: etwa 1,30 Mark pro Kubikmeter Wasser. Auf den allgemeinen Wasserverbrauch hochgerechnet, kommt man schließlich auf eine Summe von 4,2 Milliarden Mark pro Jahr. Ein besonders heikles Thema sind die 5.000 deutschen Autoschrottplätze. Was da alles versickert, läßt sich nur vermuten. Bei vorsichtiger Schätzung und einem angenommenen Sanierungszeitraum von 20 Jahren kommen die UBA-MitarbeiterInnen auf eine Milliarde Mark jährlicher Kosten.

Und so geht es weiter. Lärm und Lärmschutzwände kosten 18 Milliarden, Streusalzschäden 0,9 Milliarden, Verluste bei Bussen und Straßenbahnen, die im Autostau gefangen sind, 2,7 Milliarden Mark. Den zweitgrößten Posten in der Verluststatistik machen die Unfälle aus. 1993 fanden 10.631 Menschen den Tod auf der Straße. Da Tote nicht mehr arbeiten, muß die Gesellschaft die Werte abschreiben, die die Opfer während ihres Lebens erwirtschaftet hätten. Rund 500.000 Menschen wurden verletzt; das bringt Krankenhauskosten mit sich, die nur zum Teil von den Haftpflichtversicherungen getragen werden. Gesamtverlust durch Unfälle: pro Jahr 29,8 Milliarden Mark.

Die Mittel für den Bau von Straßen, Tunnels und Brücken summieren sich schließlich auf 68,6 Milliarden jährlich. Dabei sagen die UBA-Leute immer wieder deutlich, daß sie mit ihren Berechnungen an der „Untergrenze“ der tatsächlichen Schäden liegen. Viele Posten sind nicht bekannt oder wurden der Seriosität halber außer acht gelassen. So konnten die von krebserregendem Dieselruß verursachten Gesundheitsschäden nicht in Geld umgerechnet werden. Auch die Verluste durch hohe Ozonwerte lassen sich nur zum Teil monetarisieren.

Die UBA-MitarbeiterInnen stützen sich auf eine Untersuchung des Essener Instituts Planco Consulting GmbH, das 1990 externe Gesamtkosten für Schiene und Straße von 38,5 Milliarden errechnete, wobei der größte Teil vom Autoverkehr verursacht wurde. Die Planco-Untersuchung gilt in der Fachwelt als methodisch seriös. Die jetzt vorliegenden Zahlen mußten allerdings höher ausfallen, weil Planco die niedrigeren Preise von 1986 zugrunde legte und die neuen Bundesländer noch nicht einbezogen hat. Daß Huckestein und Verron vorsichtig gerechnet haben, zeigt die Tatsache, daß das Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg 1994 immerhin externe Kosten der Blechlawine in Höhe von 269,6 Milliarden pro Jahr ermittelte.

Nichtsdestoweniger wird nicht nur im Umweltbundesamt über das Gutachten gestritten. Auch die Autolobby kontert mit Gegenargumenten. Der ADAC etwa meint, daß den gesellschaftlichen Kosten des Autofahrens beträchtlicher Nutzen für die Allgemeinheit gegenüberstünde. Durch die hohe Mobilität gäbe es eine stärkere Konkurrenz, was die Verbraucherpreise senke. Davon profitierten alle BundesbürgerInnen und nicht nur die KFZ-BesitzerInnen, so argumentiert der Münchner Autoclub. Doch diese Effekte sind nur äußerst schwer – wissenschaftlich belastbar – in Geldwerte umzurechnen.

Anders sieht es dagegen mit der Mineralöl- und Kraftfahrzeugsteuer aus. 1993 kamen hierdurch gut 70 Milliarden Mark in die staatlichen Kassen, die zwar nicht zweckgebunden zur Abdeckung der Verkehrskosten verwendet werden müssen, trotzdem aber einen Beitrag der Automobilisten zu den von ihnen verursachten Schäden darstellen. Bleibt unter dem Strich ein autobedingter Verlust von rund 82 Milliarden Mark pro Jahr. Umgerechnet auf die 1993 in LKW- und PKW-Motoren verbrannten 74 Milliarden Liter Diesel und Benzin müßte jeder Liter um 1,10 Mark teurer werden.

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