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Über diesem Gipfel ist Ruh'

Auf ihrem Hearing zum Weltsozialgipfel zeigten die deutschen Sozial- und Entwick- lungsorganisationen Scheu vor konkreten Forderungen  ■ Aus Bonn Nicola Liebert

Der Mann vom Wirtschaftsministerium bewegte das Publikum wenigstens zu einem Lachen, wenn auch ein bitteres. Ministerialrat Dietrich Kurth stellte auf dem Hearing der sozial- und entwicklungspolitischen Organisationen gestern in Bonn sein Credo zum kommenden Weltsozialgipfel vor: Liberalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt, jedes Land für sich – und schon würden Arbeitslosigkeit und Armut beseitigt. So ähnlich, wenn auch nicht so zugespitzt, sehen es die Regierungen der meisten reichen Länder.

Die Vorschläge der regierungsunabhängigen Wohlfahrtsverbände und entwicklungspolitischen Gruppen (NGOs) sind zwar sympathischer. Ihre wesentlichen Forderungen finden sich jedoch nicht wieder in dem offiziellen Entwurf für ein Aktionsprogramm, das auf dem Kopenhagener Gipfel Mitte März verabschiedet werden soll: Es wird keinen Sozialentwicklungsfonds geben; es wird keine Finanzmittelumschichtung für soziale Zwecke geben nach dem 20:20-Muster (20 Prozent der Entwicklungshilfe und 20 Prozent der Staatshaushalte der Entwicklungsländer für die Befriedigung elementarer Bedürfnisse); es wird keinen Schuldenerlaß binnen bestimmter Fristen für die ärmsten Länder geben; es wird keine globalen Steuern für die Finanzierung sozialer Programme geben (siehe Kasten); es wird keine konkreten Vereinbarungen geben, um Strukturanpassungsprogramme – die Weltbank und IWF den verschuldeten Ländern aufzwingen – sozialverträglicher zu gestalten.

Das Aktionsprogramm besteht nur noch aus seitenlangen Deklarationen, etwa des Inhalts, daß „Armut ein komplexes, multidimensionales Problem ist“ und daß ein „öffentliches Bewußtsein zu schaffen ist, daß die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse ein essentielles Element bei der Beseitigung von Armut ist“. Im Zentrum des Programms steht ein neoliberales Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Die NGOs monierten in einem Statement, daß gerade die undefinierten und unregulierten Marktkräfte, auf denen das Aktionsprogramm aufbaut, schließlich das Elend auf dieser Welt mit verursacht hätten und somit nicht die Lösung dafür sein könnten. Über 2.000 Verbände aus aller Welt werden auf einem parallel zum Gipfel stattfindenden Forum in Kopenhagen ihre Gegenvorschläge zur Diskussion stellen.

Von all dem, was sich die Initiatoren der UN-Konferenz vorgenommen hatten, ist nicht viel übriggeblieben. Der Vorsitzende des Vorbereitungskomitees und geistige Vater des Gipfels, der Chilene Juan Somavia, hatte in einer Agenda zusammengefaßt, was die Staatengemeinschaft erreichen könnte und müßte, um den zunehmend durch soziale Krisen gefährdeten Frieden zu sichern. Er erhoffte sich eine neue Weltsozialcharta, in der beispielsweise das Recht aller Menschen auf Ernährung, elementare Bildung, Entwicklung, freie Presse und Wahlen festgeschrieben werden sollte.

Weiterer Punkt in der Agenda war die Einforderung der Friedensdividende. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) hat berechnet, daß die weltweiten Rüstungsausgaben zwischen 1987 und 1994 um durchschnittlich 3,6 Prozent im Jahr zurückgingen; das sind 935 Mrd. Dollar. Doch ging diese Ersparnis nirgendwo mit einer meßbaren Erhöhung der Sozialausgaben einher. Die Einrichtung eines Wirtschaftssicherheitsrats bei der UNO, analog zum Sicherheitsrat, wurde nicht nur von Somavia für sinnvoll erachtet.

Im aktuellen Entwurf des Aktionsprogramms ist vor allem das interessant, was nicht mehr drin steht. Eine Liberalisierung der Märkte, um den Entwicklungsländern bessere Exportchancen einzuräumen, schlagen die reichen Länder regelmäßig vor. Doch die Passage, die eine Reorientierung der Agrarpolitik mit deutlichem Seitenblick auf die abgeschottete Europäische Union fordert, wurde gestrichen. Die Einforderung der Friedensdividende mutierte zur Aufforderung, Militärausgaben zu senken, aber nur die „exzessiven Ausgaben“ und auch nur, „wo dies angemessen ist“.

Die Bundesregierung ist an all dem ohnehin reichlich desinteressiert. Im Prinzip sieht sie, so geht es aus dem nationalen Bericht hervor, die sozialen Probleme nur bei anderen. Daher sollen auch die anderen die Probleme lösen. Dafür bekommen sie dann auch ein bißchen Entwicklungshilfe.

Entgegen der ausdrücklichen UNO-Empfehlung wollte die Bundesregierung zunächst die Verbände auch nicht am nationalen Vorbereitungskomitee beteiligen. In Opposition dazu gründete sich daraufhin vor gut einem Jahr das Forum der deutschen NGOs, in dem über 40 Verbände vertreten sind, darunter Friedrich-Ebert- Stiftung, Caritas und Deutscher Entwicklungsdienst. Auf deren Druck hin wurden nun doch NGO- Mitglieder in die offizielle deutsche Delegation aufgenommen. Der DGB-Vertreter meinte aber auf dem gestrigen NGO-Hearing dazu: „Da dürfen wir den Mund nicht aufmachen.“

Viele NGOler äußerten sich am Rande des Hearings unsicher, ob ihre Teilnahme am Gipfel überhaupt sinnvoll ist. Burkhard Gnärig von terre des hommes brachte es auf den Punkt: „Die Tatsache, daß der Gipfel überhaupt stattfindet und daß die NGOs teilnehmen dürfen, ist noch kein Grund zur Zufriedenheit.“ Er warnte davor, „daß wir zu Claqueuren einer Politik werden, die nur an der Machbarkeit orientiert ist“.

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