: Petersilie vor Möhre und Spinat
■ Ein lehrreicher Streifzug durch das Statistische Jahrbuch 1994, der den Ostlern zu denken geben sollte: Sie besitzen mehr Diaprojektoren und Nähmaschinen als die Westler
Wie man so sagt, solle man keiner Statistik trauen, die man nicht selber gefälscht hat. Für das Statistische Jahrbuch für Berlin trifft das vielleicht auch zu. Vielleicht werden einige aber auch eines Besseren belehrt. Auf 620 Seiten finden sich in dem Jahrbuch 1994 rund 150.000 Einzeldaten, die im Jahre 1993 gesammelt wurden. Die einzelnen Daten fügen sich zu einem schlüssigen Bild komplexer Lebensrealität zusammen. Wie man ebenfalls so schön sagt.
So erfährt man beispielsweise, daß in Zehlendorf durchschnittlich jeder vierundzwanzigste Einwohner Hundebesitzer ist, während in Mitte nur jeder sechzigste einen treuen Vierbeiner zum Gefährten hat. Die Hundebesitzer in Mitte haben es allerdings schwerer, für ihr Haustier eine Steuerbefreiung zu erhalten. Nur ungefähr jeder fünfzigste Hund ist steuerbefreit; in Zehlendorf dagegen kann fast jeder dreißigste Hundehalter diese lästige Abgabe umgehen.
Wer ein Herz für Tiere hat, ist scheinbar auch im Umgang mit Touristen freundlicher. So überrascht es nicht, daß sich Hotelgäste im hundefreundlichen Zehlendorf wohler fühlen als in Mitte. 3,5 Tage betrug im Vierbeinerbezirk die, wie es immer so schön heißt, durchschnittliche Verweildauer in Pensionen und Hotels, während man in Mitte schon nach 2,1 Tagen wieder abreiste.
Überhaupt hat Zehlendorf für den Tierfreund mehr zu bieten als die Innenstadtbezirke: Neben 1.708 Hühnern leben dort auch 147 Ferkel, 112 Zuchtsauen und 19 Schafböcke. In den Innenstadtbezirken wohnt kein einziges Ferkel. Ach so.
Vielleicht blieben die Touristen in Zehlendorf aber auch deshalb länger, weil sie dort seltener Verkehrsunfällen zum Opfer fielen. Nach Weißensee, Hellersdorf und Hohenschönhausen, die touristisch nicht unbedingt zu den Highlights zählen, belegt Zehlendorf Platz 4 bei der Prämierung der vorsichtigsten Autofahrer. Die Berlin- Touristen sind also durchaus tierlieb und um die eigene Gesundheit besorgt, dennoch haben sie einen ökologischen Rüffel verdient. In den Monaten Mai bis Oktober kommen sie besonders gerne in die Hauptstadt und werfen scheinbar achtlos Papier und sonstigen Dreck auf die Straßen. Das kann man dadurch belegen, daß der Wasserverbrauch der Stadtreinigungsfahrzeuge zwischen Mai und September drastisch ansteigt.
Das Statistische Jahrbuch belegt aber auch eindrucksvoll, daß Berlin nicht nur in den Bereichen Tourismus und Hundehaltung Erfolge vorzuweisen hat. Auch die Landwirtschaft der Hauptstadt blüht und gedeiht. Wer hätte gedacht, daß auf immerhin 13,6 Hektar Petersilie angebaut wird. Damit liegt die Petersilie, wie schon 1992, auch diesmal vor Möhre und Spinat auf Platz 1. Das Schlußlicht bildet wieder der Rotkohl mit nur 0,2 Hektar Anbaufläche.
Sehr aufschlußreich ist auch ein Blick auf die Ausstattung der Berliner Haushalte mit langlebigen Gebrauchsgütern. Hier wird endlich bewiesen, daß die Ostler keinen Grund zum Jammern haben. Denn während nur 54 Prozent der West-Haushalte über eine elektrische Nähmaschine verfügen, befinden sich 63 Prozent der Ost-Haushalte im Besitz eines solchen Geräts. Und auch mit Diaprojektoren ist der Ostteil der Stadt (33 Prozent) besser ausgestattet als der Westteil (29 Prozent). Da wundert es nicht, daß bei den Umzügen innerhalb der Stadtgrenzen eine Abwanderung von West nach Ost zu verzeichnen ist.
Wer hätte nicht gerne einen Diaprojektor und eine elektrische Nähmaschine? Gesa Schulz
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