: Allianz mit Unternehmern
In der Schweiz wollen die Grünen das Volk über eine Energiesteuer mit sozialpolitischer Zielsetzung abstimmen lassen ■ Aus Zürich Roger Monnerat
„Energie statt Arbeit besteuern“, in dieser Formel laufen bei der Grünen Partei der Schweiz seit einigen Jahren die Diskussionen im Spannungsfeld Ökologie, Wirtschaft und Staat zusammen. Vor einigen Wochen haben die Schweizer Grünen nun eine Volksinitiative (Sammlung von 100.000 Unterschriften) lanciert. In den nächsten vier Jahren werden die Schweizer StimmbürgerInnen Gelegenheit erhalten, darüber zu entscheiden, ob sie die Besteuerung nichterneuerbarer Energieträger und der Elektrizität aus Kraftwerken (mit mehr als einem Megawatt Leistung) in die Verfassung aufnehmen wollen.
In der Forderung, durch eine Energiesteuer eine besser Nutzung von Kohle, Gas und Erdöl sowie einen sparsameren Umgang mit Elektrizität zu erreichen, können die Grünen auf einen Grundkonsens in der Schweizer Bevölkerung bauen. Dieser Konsens schließt auch jene aufgeklärten Unternehmerkreise ein, die sich dem Konzept einer „Nachhaltigen Entwicklung“ verpflichtet fühlen, wie es Stephan Schmidheiny, Industrieller und Vertreter einer der reichsten Schweizer Unternehmerfamilien, im Bestseller „Kurswechsel“ skizziert hat.
Neu am Vorstoß der Grünen ist, daß die Energiesteuer nicht zur Finanzierung von Umweltaufgaben erhoben werden soll, sondern zur Sicherung der sozialen Vorsorgeeinrichtungen. Diese erhalten in der Schweiz heute schon Zuschüsse aus allgemeinen Steuermitteln, sie werden aber hauptsächlich durch paritätische Lohnabzüge bei Arbeitgebern und Beschäftigten getragen. Der Vorschlag der Grünen hat also neben der umweltpolitischen auch eine klar sozialpolitische Stoßrichtung: Niedrigere Lohnnebenkosten sollen zur Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen anreizen.
Die Grünen meinen, daß Unternehmen bei niedrigeren Lohnkosten auf Rationalisierungen verzichten. Diese Annahme ist nicht unproblematisch. Schwarzarbeit als illegale Form der Vermeidung von Lohnnebenkosten finden wir ja gerade in Sektoren, in denen kaum rationalisiert werden kann, bei persönlichen Dienstleistungen (Putzen, Pflegen, Haushilfe), im Handwerk und am unteren Ende der Zulieferkette für die große Industrie. Würden in den andern Sektoren die durch die Senkung der Lohnnebenkosten freigewordenen Mittel nicht gerade zu Rationalisierungen benutzt?
Zum andern stellt sich grundsätzlicher die Frage, ob Arbeit, die wegrationalisiert werden könnte, den Beschäftigten zuzumuten ist, nur damit Arbeitsplätze gerettet werden. Diese Diskussion ist in der Schweiz bisher weder in der Öffentlichkeit noch unter Linken, Gewerkschaften, Grünen und Alternativen wirklich geführt worden. Zwischen AnhängerInnen von André Gorz, die gegen Rationalisierungen grundsätzlich nichts einzuwenden haben, und VertreterInnen eines handwerklichen oder kleinbürgerlichen Arbeitsethos lavieren die Ansichten in allen Abstufungen durcheinander.
Aber noch bevor es zu solch grundsätzlichen Diskussionen kommen wird, dürfte die Idee, die Sozialversicherungen nicht mehr hauptsächlich durch Lohnabzüge zu finanzieren, sondern durch die Erhebung einer Energiesteuer, auf den entschiedenen Widerstand bei Teilen der Gewerkschaften und Linken stoßen. Die paritätisch erhobenen Lohnabzüge gehen auf den Zweiten Weltkrieg zurück, als der Bundesrat die Lohn- und Verdienstersatzordnung einführte, um die Existenz der Soldaten und ihrer Familien abzusichern.
Der Nimbus dieser im Sinne einer Notgemeinschaft gefundenen Regelung wurde 1948 auf die Schweizer Rentenversicherung übertragen und blieb bis heute vor allem in der älteren Generation lebendig. Auch der Ausbau der Altersvorsorge in den Hochkonjunkturjahren und die nach der Krise von 1974/75 eingeführte Pflicht zur Arbeitslosenversicherung orientieren sich an diesem Vorbild – im grundsätzlichen Einverständnis zwischen den Sozialpartnern.
Erst in den letzten Jahren sind die Klagen über die Höhe der Lohnnebenkosten, die heute bis 25 Prozent des Lohnes ausmachen, zu einem Dauerbrenner von Unternehmerverbänden und bürgerlichen Parteien geworden. Linke und Gewerkschaften haben solche Klagen bisher unisono zurückgewiesen und als Stimmungsmache für einen generellen Sozialabbau denunziert. Die durch Lohnabzüge paritätisch finanzierte soziale Sicherheit ist zu einem linken und gewerkschaftlichen Bollwerk geworden. Die Progression der Einkommensteuern und die paritätischen Lohnprozente für die Sozialversicherungen sind die einzigen Umverteilungsmechanismen, die von Linken und Gewerkschaften durchgesetzt werden konnten. Wenn sie die Einkommenspyramide auch nur geringfügig verflachen konnten, so haben sie doch hohen Symbolwert.
Es gehört eine gehörige Portion an politischem Mut dazu, wenn in der heutigen Situation real sinkender Löhne und real sinkender Massenkaufkraft sich die Grünen der Ansicht der Unternehmerseite, die Lohnkosten seien zu hoch, anschließen. In der hartnäckigen Krise der letzten Jahre sind aber weite Teile der Öffentlichkeit zur Überzeugung gelangt, daß unter den Bedingungen der Weltmarktkonkurrenz und eines erst in Ansätzen sichtbar gewordenen Rationalisierungspotentials bei den Löhnen Druck weggenommen werden muß, um auf der Basis einer Neuverteilung der Arbeit auch nur annähernd wieder zur Vollbeschäftigung zu gelangen. Der Vorschlag der Grünen verlagert, indem er die Lohnnebenkosten ins Blickfeld rückt, die Auseinandersetzung auf eine andere Ebene und zeigt möglicherweise eine Alternative zu Reallohnsenkungen auf.
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