: Unverschämt grelle Sonne
Permanent übertragen sich die Störungen von einer Generation auf die andere: Israelische Filme in Panorama und Wettbewerb ■ Von Mariam Niroumand
Seltsam durch die Mangel gedreht fühlt man sich nach Besichtigung der Auswahl an israelischen Filmen in Panorama, Wettbewerb und Forum. Man beobachtet ein scheinbar immer gleiches Personal beim Durchwühlen seiner Eingeweide. Die meisten Szenen spielen deshalb hinter heruntergelassenen Jalousien, während von draußen dieses unverschämt grelle Sonnenlicht hereindrängt.
In allen Familien gibt es mindestens eine(n) ernsthaft Schwachsinnige(n), die Eltern sind samt und sonders irgendwie dysfunktional; der Vater im Wettbewerbsbeitrag „Sh'chur“ von Hana Azoulay Hasfari ist blind, nimmt aber gleichzeitig an Bibelwettbewerben teil, auf die seine Tochter — ein alter ego der Regisseurin — ihn vorbereiten muß. Er baut an einer Art Arche Noah, die Rachel (!) zum Einsturz bringt, als sie aufs Internat geschickt wird.
Einige der Filme sind aus prekären Minderheitenpositionen heraus entstanden. „Kafe im Limon“ (Kaffe mit Zitrone) ist die Geschichte russischer Einwanderer, die in ihrer Container-Siedlung mit Überqualifikation und Arbeitslosigkeit kämpfen. „Ahare Hahagim“ (Am Abgrund) beginnt im Palästina der 10er Jahre mit einer aus Ungarn stammenden Familie eines Orgelbauers, dessen Frau permanente Angstattacken erleidet, und der nach ihrem Tod eine orthodoxe jiddische Mame heiratet, die wiederum nach seinem Tod nicht mehr mit den Mädchen leben kann.
Araber kommen in diesen Filmen, wenn überhaupt, nur als stumm-staunende, dem Wahnsinnstreiben ratlos gegenüberstehende Zaungäste vor. Die in „Sh'chur“ beschriebene Familie kommt aus Marokko; entsprechend strotzt der Film vor Orientalismen. In einer (zum Sterben peinlichen) Kernszene, verpaßt die in ein Bettlaken gehüllte nackte Mutter ihrem vermeintlich verfluchten Sohn bei Kerzenschein ein Rebirthing, indem sie Dunkles munkelt und ihn zu sich ins Laken holt, um ihn anschließend wieder auszustoßen, nackt und bloß.
Apropos ausstoßen: In keinem nationalen Kino wird dermaßen viel öffentlich gepinkelt, gekotzt und gerotzt wie im israelischen. Mit der Analität des Mediterranen läßt sich dem wohl nicht hinreichend beikommen. Ob die Filmtheoretikern Regine Mihal Friedmann recht hat mit ihrer These, es handele sich dabei um männliche Abstoßungsversuche gegen das Weibliche, weiß ich nicht so recht; spätestens seit „Life according to Agfa“ hat man ja den Eindruck, daß es auch in Israel ein Geschlechtsleben nach der Pipi & Kaka-Ära gibt. Aber gerade Assi Dayans nächster Film, „Smicha Hashmalit“ (Die Heizdecke) – der lustigste und gelungenste unter den Panorama-Beiträgen – spielt zu großen Teilen in einer Notaufnahmestation, auf einem Friedhof oder eben in der Bar, in der auch „Life according to Agfa“ schon spielte.
Nachdem Frauen aus den Filmen, die während der Intifada entstanden waren („Cup Final“, „Beyond the Walls“), weitgehend verschwunden waren, tauchen sie jetzt als die eigentlichen Zentren des Geschehens wieder auf. Michal Bat Adam hat sich, ähnlich wie die Regisseurin des Wettbewerbsbeitrags, in „Autobiographia Dimyonit“ (Eine erdachte Autobiographie) als Privatperson porträtiert: Im Film entsteht ein Film über eine Frau, der die Beziehung zwischen einer psychisch kranken Mutter und ihrer Tochter zeigen möchte. Auch hier wieder müssen die Kinder die Eltern ernähren, füttern, erziehen; allein sind sie völlig handlungsunfähig.
Die nicht ganz uninteressante aktuelle politische Situation findet nur auf Umwegen Einzug ins israelische Gegenwartskino. Ab und an hört man Nachrichten, aber sie dringen nur aus der Ferne in die verdunkelten Wohnzimmer; der Golfkrieg bildet nur den Hintergrund für eine mittelprächtige Beziehungskomödie („Shirat ha'Sirena“); und neben der bereits erwähnten fast gänzlichen Abwesenheit von Arabern hat man alles in allem den Eindruck, hier versuchten sich (ehemalige) Besatzer ein Unschuldspostulat zu verschaffen: Wir, mit unseren zerrütteten Nerven, sollen irgendwen unterdrückt haben?
Man kommt nicht umhin, die permanenten Störungs-Übertragungen von einer Generation auf die nächste mit der Shoah in Verbindung zu bringen. Dafür spricht, daß speziell die gelegentlich durchs Bild laufenden jiddisch sprechenden alten Leute völlig verrückt sind, fast so wie die ab und an als Gespenster auftauchenden Orthodoxen. Daß viele der Filme von Israelis stammen, deren Familien gar nicht selbst von der deutschen Judenverfolgung betroffen waren, spricht nicht gegen diese Verbindung. Schließlich gehört sie zur raison d' être des Staates, in dem sie zu leben versuchen.
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