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Offene Wunden

Dresden 50 Jahre nach der Bombennacht / Ein „Arbeitskreis“ fordert Denkmal für Mörder und Opfer  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Christof Ziemer kam 1980 als Superintendent nach Dresden. Er sah die Ruine der Frauenkirche, die Trümmer im Rosendickicht. Er wußte: Hier würde er eine Andacht halten, am 13. Februar, dem 35. Jahrestag der Zerstörung Dresdens. Öffentlich an diesem Symbol für den Untergang und erstmals außerhalb der staatsoffiziellen Gedenkzeremonie.

Im Oktober 1981 verteilten Freunde aus der Dresdner Hippieszene einige Dutzend Flugblätter. Sie riefen dazu auf, den 13. Februar nicht zu vergessen, und lösten damit eine Kettenreaktion aus. Innerhalb kurzer Zeit kursierten Tausende der Flugblätter in der ganzen DDR. Auch die Stasi bekam eines. Johanna Kalex hatte damals den Aufruf verfaßt: „Ich nahm an, daß so 200 Leute kommen würden. Was dann geschah, hat mich total überfordert.“ Staat und Amtskirche „einigten“ sich, dieses für beide Seiten nicht kalkulierbare Friedenstreffen in die Kreuzkirche zu „verlegen“. Etwa 8.000 Leute trafen sich; Tausende liefen in der Stadt herum, gingen immer wieder zur Ruine. Die InitiatorInnen blieben nach diesem Tag zusammen, nannten sich später „Anarchistischer Arbeitskreis Wolfspelz“. Für Kalex ist der 13. Februar 1982 die „Geburtsstunde der DDR-Friedensbewegung“.

Die gewaltige Barockkirche des Ratszimmerermeisters George Bähr war das Wahrzeichen des alten Dresden. Ihre steinerne Kuppel bestimmte den „Canaletto- Blick“ auf die Residenzstadt. Während noch an der Kirche gebaut wurde, hatten Fachleute gewarnt: Die Kuppel laste allein auf den acht Mittelpfeilern und nicht, wie von Bähr angenommen, auf den Außenwänden. Gaetano Chiaveri, der die Statik für den Petersdom in Rom berechnet hatte, schlug vor, statt der steinernen eine hölzerne Kuppel zu setzen. Schließlich wurde der Bau 1743 doch nach Bährs Plänen vollendet, fünf Jahre nach dessen Tod. Die 95 Meter hohe Steinglocke stand über 200 Jahre, sie überlebte den Siebenjährigen Krieg, sie schien zunächst auch dem nächtlichen Bombardement vom 13. Februar 1945 standzuhalten. Erst in den Mittagsstunden des 15. Februar sank sie, innerlich ausgebrannt, zusammen. So blieb sie liegen, als Trümmerhaufen und Mahnmal.

Im Herbst 1989 fand sich ein „Initiativkreis für den Wiederaufbau der Frauenkirche“ zusammen, seit 1990 gibt es eine Stiftung, die den Aufbau mit Spendengeldern betreibt. Am 27. Mai 1994 wurde der erste Stein für den sogenannten „archäologischen Wiederaufbau“ gesetzt. Alle Trümmer werden zerlegt und katalogisiert, die historischen Teile soweit wie möglich für den Bau wiederverwendet.

Nach Angaben der Stiftung soll die Frauenkirche „deutlich vor dem 800jährigem Stadtjubiläum“, also vor dem Jahr 2006, fertiggestellt sein. Geschäftsführer Wolfgang Müller-Michaelis schätzt die Kosten auf 250 Millionen Mark.

Heute ist die Baustelle der Frauenkirche ein Wallfahrtsort für alle, die vom alten Dresden schwärmen. Während der bereits in den fünfziger Jahren wiederaufgebaute barocke Zwinger oft recht verlassen liegt, treten sich an der Frauenkirche die FotografInnen auf die Füße. Tausende nutzten am vergangenen Wochenende die wohl letzte Gelegenheit, in die Katakomben hinabzusteigen und sich die unverputzten Sandsteingewölbe anzusehen. Bis heute liegen dort die verglühten Reste barocker Särge und die Blechdosen der während des Krieges in der Kirche gelagerten, aber beim Angriff verbrannten historischen Filme. Diese unterirdische Halle soll einmal als Konzertsaal hergerichtet werden.

Die Frauenkirche ist längst eine verläßliche Größe im Wettbewerb um zahlungskräftige TouristInnen. Oberbürgermeister Herbert Wagner ruft pathetisch: „Erst wenn die Kuppel der Frauenkirche wieder die Dächer der Stadt krönt, erst dann darf Dresden wieder Elb- Florenz genannt werden!“

„Ich mache mir zum Vorwurf“, gesteht der jetzt in Berlin lebende Christof Ziemer, „daß ich nicht laut gesagt habe, daß ich gegen den Aufbau der Frauenkirche bin.“ Er hätte sich eine Volksabstimmung vorstellen können, doch dafür ist es zu spät. Ziemer sieht, daß die DresdnerInnen gerade an diesem Symbol von den „Klageritualen“ der achtziger Jahre zu „Lob- und Dankritualen“ wechseln. 1990 und 1994 hielt Bundeskanzler Kohl seine Wahlkampfreden vor der Frauenkirche – und vor jubelndem Volk. „Der 13. Februar“, ahnt Ziemer, „wird künftig als der Tag begangen werden, an dem man sich darüber freuen kann, daß die Frauenkirche wiederaufgebaut wurde.“ Das Inferno, als „der Krieg auf unsere Stadt grausam zurückschlug“, wie es Oberbürgermeister Herbert Wagner gestern auf der Gedenkveranstaltung so schön sagte, gerät zur Rahmenhandlung für künstlerische Leckerbissen. Die Dresdner Musikfestspiele stehen in diesem Jahr unter dem Motto: „Apokalypse“; und Intendant Michael Hampe schreibt im Geleitwort des Programmhefts: „1995 jährt sich zum fünfzigsten Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Zerstörung Dresdens, jenes apokalyptische Ereignis, das wie kein zweites zum Symbol des Untergangs, des Grauens und des Leidens wurde, das jener Krieg über die Menschheit brachte.“ Dresden gegen Auschwitz, da ist sie, die „verlogene Trauer der Dresden- Ankläger“, vor der Ralph Giordano gewarnt hatte.

Die Kriegswunden Dresdens werden geschlossen, mit scheußlicher Fast-food-Architektur und mit recycelter Historie.

Schon tritt ein „Arbeitskreis“ ans Licht, mit Postfach im hessischen Hassenhausen, der eine „Gedenkstätte 13. Februar 1945“ fordert, ausdrücklich für „Mörder und Opfer“. In seinem Flugblatt, vor der Frauenkirche massenhaft verteilt, hetzt dieser „Arbeitskreis“ vom „Holocaust an der deutschen Bevölkerung“. Für Churchill habe 1940 der „totale Krieg“ gegen Deutschland begonnen. Die Zahl der Opfer des Angriffs auf Dresden lügt der Verein auf 250.000 hoch.

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