Erhalt West geht vor Aufbau Ost

■ FU-Präsident Johann Wilhelm Gerlach: Der Abbau funktionierender Einrichtungen im Westen darf nicht weitergehen / Eine Zusammenlegung der Berliner Universitäten zum jetzigen Zeitpunkt wäre verrückt

taz: Sie waren mit den drei anderen Uni-Präsidenten bei Wissenschaftssenator Erhardt. Bis zum 31. Januar sollten die Unis Vorschläge zum Abbau von Mehrfachangeboten vorlegen. Was haben Sie ihm vorgeschlagen?

Johann W. Gerlach: Wir haben keine Fächer zur Einstellung vorgeschlagen.

Worüber haben Sie dann gesprochen?

Über das Problem der jeweiligen Belastung jeder Universität. Der Hochschulstrukturplan, der bei Freier Universität, Technischer Universität und der Hochschule der Künste einen strukturell erträglichen Abbau in zehn Jahren vorsieht, ist längst durch viel mehr Kürzungen zunichte gemacht. Die FU hat schon bis 1996 die Summe zu erbringen, die 2003 vorgesehen ist. In diesem quälenden Prozeß sollen wir nun noch für eine pauschale Minderausgabe Mittel hergeben.

Heißt das, daß von den Unis bis zum 31. März keine Vorschläge kommen werden, wie man 158 Millionen Mark einsparen kann?

Ich gehe davon aus, daß auch die Politiker nicht von dieser Einsparsumme ausgehen. Ohne Einbrüche schlimmer Art zu produzieren, können Kürzungen in dieser Höhe weder vom Senator noch aus den Universitäten vorgeschlagen werden. Im übrigen gibt es immer noch die offizielle Zielzahl von 100.000 Studienplätzen. Mit Brandenburg zusammen hätte Berlin- Brandenburg nur Bundesdurchschnitt. Das ist für ein Land verdammt wenig, bei dem Berlin, das deutsche Hauptstadt sein will, den größten Teil ausmacht. Diese Zahl müßte mit der pauschalen Minderausgabe um fünf- bis zehntausend unterschritten werden. Daß die Senate der Universitäten noch im Rest des Semesters Entscheidungen treffen, bezweifle ich.

Sie glauben also, daß die Politik an den pauschalen Minderausgaben, wie sie jetzt verlangt werden, nicht festhalten wird?

Ich denke, daß die Politik einen bestimmten Beitrag fordern wird. Es gibt Möglichkeiten, in Koordinierung zwischen den Universitäten hier und da etwas zu sparen. Aber diese Summen liegen weit unterhalb dessen, was sich der Hauptausschuß vorstellt.

Wenn man sich die Beträge ansieht, dann scheint doch der Vorschlag der HU-Präsidentin, die Berliner Universitäten zusammenzulegen, fast die einzige Möglichkeit zu sein.

Das wäre jetzt geradezu verrückt. Ich habe vor drei Jahren vorgeschlagen, vorübergehend eine große Berliner Universität zu machen, wenn Berlin sich den Erhalt der West-Institutionen und den Aufbau der Ost-Institutionen nicht gleichzeitig leisten kann. Das wurde empört abgelehnt wegen angeblicher Einverleibung.

Es heißt, daß die Universitäten in der gegenwärtigen Auseinandersetzung ihr jeweiliges Profil schärfen müßten. Wie könnte das Profil der FU nach Ihren Vorstellungen in Zukunft aussehen?

Das ist eine Frage, die für eine klassische Universität wie die FU, auch für die HU, schwieriger zu beantworten ist als für die TU, die von den technischen Fächern als Zentrum ausgehen kann. Welche einzelnen Fächer zum Profil gehören, können Sie in Bayreuth oder Passau fragen. Bei der Größe einer Hauptstadt-Universität gibt es von Ägyptologie bis Zoologie kein Fach, das nicht dazugehört. Das Profil kann nur in Leistung, Qualität und fächerübergreifenden Zusammenhängen bestehen.

Halten Sie also für eine Universität mit der Struktur der TU die Vorstellungen, die deren Präsident in seinem Strukturplan vertreten hat, für sinnvoll?

Daß die Technische Universität keine klassische Universität ist, ist doch völlig klar. Wieweit die anderen Fächer aus dem Zusammenhang zu Technik- und Ingenieurwissenschaften dazugehören, das ist eine Abwägungsfrage. Insofern wird sich die TU einigen Fragen stellen müssen, auch wenn sie gegen den Vorschlag von Herrn Schumann Sturm läuft.

Sie haben kritisiert, daß die Humboldt-Universität zu Lasten der FU ausgebaut wird.

In Berlin heißt es nicht Aufbau Ost vor Ausbau West, sondern der Aufbau Ost geht Hand in Hand mit einem partiellen Abbau West. Das ist zunächst gar kein Reizthema, sondern gehört zur besonderen Verantwortung in Berlin. Dadurch kommen wir schon in Zwänge, von denen die Universitäten in der alten Bundesrepublik keine Ahnung haben. Es gibt jedoch im Interesse der Stadt insgesamt den Punkt, wo der Abbau zu Lasten funktionierender Einrichtungen im Westen nicht weitergehen kann, die für die Wissenschaft in Berlin nach wie vor tragend sind.

Die Befürchtung, die HU würde zur Elite-Universität ausgebaut und die FU zu einer drittklassigen Vorortuni degradiert, ist doch längst passé.

Das war immer unsinnig. Die HU hat so viel Personal, daß sie auch nach Studienplätzen eine große Universität wird, vielleicht sogar eines Tages größer als die FU. Was eine im Aufbau befindliche Universität leistet, wird sich erst im Laufe der Jahre zeigen. Die FU ist stark genug, die Herausforderung anzunehmen und mit ihrem Campus-Standort Dahlem eine attraktive Alternative zu dem politisch vielleicht interessanteren Standort Mitte zu sein.

Der jetzige Wissenschaftssenator gilt eher als Freund der Humboldt-Uni.

Eindeutig.

Machen Sie sich Hoffnungen, daß sich Ihre Situation verbessert, wenn er im Herbst abtritt?

Ich gehe davon aus, daß seine Politik im wesentlichen den Vorstellungen des Parlaments und des Senats entspricht. Ob inzwischen überall ein gewisses Nachdenken einsetzt, daß der Aufbau Humboldt nun doch nicht das oberste Gebot sein kann, das ist eine andere Frage. Da hat man langsam begriffen, daß auch der Erhalt West ein Thema ist.

Auch Ihre Amtszeit läuft demnächst aus. Werden Sie wieder kandidieren?

Die Wahlen zu den zentralen Gremien haben an den Mehrheitsverhältnissen nicht viel verändert. Eine Gruppe bei den Hochschullehrern, die ganz auf Opposition setzte, hat verloren. Die Gruppe, der ich angehöre, hat Stimmen dazugewonnen. Aber eine Universität nur in den Abbau zu führen ist für keinen Menschen eine sinnvolle Aufgabe. Deswegen kommt es darauf an, daß sich die FU weiter im inneren Reformprozeß bewährt und auch nach außen behauptet. Wenn die FU jedoch eine glänzende Alternative findet und nicht nur nach Gruppeninteressen taktiert, dann ist das Ende der Amtszeit für mich keine schlimme Vorstellung.

Aber Sie gehen davon aus, daß diese glänzende Alternative nicht aus der Versenkung auftaucht?

Ich denke, daß in dieser Situation mehr für Kontinuität spricht. Aber das werden die Gremien mit ihren Mehrheiten entscheiden.

Wie würden Sie Ihre Amtszeit bilanzieren? Haben Sie immer nur auf die Zumutungen von seiten der Politik reagiert oder auch etwas bewegen können?

Im Bereich der Lehre ist am ehesten ein unmittelbarer präsidialer Einfluß erreichbar gewesen, weil sich die Universität dieses Thema noch nicht in dem Maße zu eigen gemacht hat, wie es nötig ist. Damit meine ich den Diskussionsprozeß um Lehrevaluation, um eine neue Lehr- und Lernkultur. Aber dazu gehört auch die Bemühung, Finanzmittel nach Leistungen in Forschung und Lehre umzuverteilen. Interview: Ralph Bollmann