: Metall wartet auf Chemie-Abschluß
■ Warum die Metall-Arbeitgeber kein Lohnangebot vorlegen / Heiße Telefondrähte hinter den Kulissen
Berlin (taz) – Zwei Wochen ist es her, daß die Friedenspflicht in der Metallindustrie abgelaufen ist. Und noch immer liegt kein prozentuales Lohnangebot der Metall- Arbeitgeber vor. Daran wird sich voraussichtlich auch nicht viel ändern: „Wir werden diesmal nicht in das Ritual formeller Lohnangebote einsteigen“, bekräftigte gestern Werner Riek, Sprecher von Gesamtmetall. Man wolle grundsätzlich nur im Paket mit anderweitigen Kostenentlastungen verhandeln. „In der Vergangenheit hat es zwar schrittweise Annäherungen über Lohnprozente gegeben, das hat sich aber als nicht sehr förderlich erwiesen.“
Die Arbeitgeber wissen, daß sie sich mit der Bekanntgabe eines Angebotes im Moment taktisch tatsächlich nur schlechter stellen können. Denn der Zeitpunkt für ein sehr niedriges Angebot ist vorbei. Es würde jetzt nur noch heftige Proteste verursachen. Bei einer moderateren Prozentzahl aber müßten die Arbeitgeber im Laufe der Tarifgespräche, gemäß dem Ritual, noch etwas draufsatteln. Auch könnte die Forderung nach anderweitigen Kostenentlastungen dann von der IG Metall weitgehend ignoriert werden.
Das Resultat der Pattsituation: Die wichtigen Verhandlungen laufen vor allem hinter den Kulissen, in den Vorbereitungskonferenzen zwischen den Tarifpartnern und ihren Dachorganisationen. „Da gibt es ständige Gespräche“, schildert Riek. Denn Tarifrunden sind ein schwieriger organisationsinterner Prozeß – bei beiden Tarifpartnern.
Die Arbeitgeberverbände in den Tarifgebieten müssen dabei vor allem die höchst unterschiedliche Interessenslage ihrer Mitglieder berücksichtigen. In der niedersächsischen Metall- und Elektroindustrie beispielsweise bezeichneten bei einer Umfrage 39 Prozent der Unternehmen die Kapazitätsauslastung immer noch als schlecht oder nicht ausreichend. 58 Prozent der Unternehmen beurteilen die Geschäftslage als negativ. Während beispielsweise das Geschäft bei den großen Automobilkonzernen boomt, leiden die kleinen Zulieferer unter dem Preisdruck.
Vor allem der Mittelstand aber ist es, der in den Arbeitgeberverbänden dominiert. Rund 80 Prozent der 8.000 tariflich gebundenen West-Metallbetriebe haben nur bis zu 200 Beschäftigte. Bei einem Unternehmen mit 200 Beschäftigten kann ein Prozent mehr Lohn Mehrkosten von 100.000 Mark im Jahr verursachen. Kein Wunder also, daß die regionalen Arbeitgeberverbände ihre eigene Klientel fast mehr fürchten als den Verhandlungsgegner.
Taktisch klug aber sind die Metall-Arbeitgeber auch mit dem Tarifgegner nicht umgegangen. Selbst in Kreisen der Chemieindustrie wird der letzte Vorstoß von Gesamtmetall-Geschäftsführer Kirchner kritisiert. Kirchner hatte mitten in den Tarifverhandlungen plötzlich auch noch die vermögensbildenden Leistungen auf den Prüfstand gestellt. Die Folge des ungeschickten Verhandelns: In der Öffentlichkeit sind die Arbeitgeber jetzt in die Defensive geraten.
In Arbeitgeberkreisen wird daher gemunkelt, die Metall-Arbeitgeber warteten eigentlich nur noch auf die Abschlüsse in der Chemieindustrie, um damit auch eine Orientierung zu haben, mit der sie der eigenen Klientel einen Abschluß verkaufen können. Bei den Tarifverhandlungen in der Chemie steht immerhin schon das Gebiet für den Pilotabschluß fest: In Hessen soll die wegweisende Einigung fallen. Die Arbeitgeber haben schon ein Angebot etwa in Höhe der Preissteigerungsrate (2,3 Prozent) gemacht. Der nächste Verhandlungstermin in Hessen ist für den 22. Februar anberaumt. In der Metallindustrie dagegen hält IG-Metall-Chef Zwickel jetzt Urabstimmungen zwischen dem 20. und 22. Februar für möglich. Ein Streik könnte einige Tage später beginnen, beispielsweise am 27. Februar. Läge ein Chemie-Abschluß zu diesem Zeitpunkt vor und drohte in der Metallindustrie der Arbeitskampf, hätten die Metall-Arbeitgeber wiederum gute Argumente gegenüber ihren Mitgliedern, einer schnellen Einigung zuzustimmen. Man erinnere sich an das vergangene Jahr: Damals war nach langem Hin und Her ein Streik für den Montag anberaumt worden. Am Wochenende davor kam es plötzlich zur Einigung. Barbara Dribbusch
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