Die komische Tortur

Peter Chelsoms „Funny Bones“ (Panorama)  ■ Von Harald Fricke

Alle guten Comedy- und Slapstick-Nummern sind von einer schweren Traurigkeit durchzogen, so wie grelle Expressionismus-Bilder schwarz vom Grund her strahlen. Meistens taucht sie ganz versteckt in der Sekunde einer Unachtsamkeit auf, da man noch über ein soeben lustig arrangiertes Mißgeschick lachte. Und plötzlich spiegelt sich im hilflosen Lächeln jener unseligen Kreatur, die erst eben zum allgemeinen Vergnügen noch kochend heiße Milch über ihre Hose geschüttet hatte, die schnürende Gewißheit wider, daß das Leben nur unter Schmerzen zu ertragen sei. Peter Chelsom hat sehr genau auf diese Momente geachtet, vielleicht ist „Funny Bones“ deshalb so tiefschürfend, aber komisch.

Es beginnt mit einem Malheur auf See: Französische und englische Fischer geraten bei einer illegalen Transaktion um irgendwelches wundersames Verjüngungspuder in Streit. Das Boot der Briten steuert bei, einer der Franzosen fällt ins Wasser, seine Füße verheddern sich in der Schiffsschraube, es schabt laut, und eine rote Pfütze steigt gemächlich im Ozean auf. Zuletzt landen die abgetrennten Dinge in der Leichenhalle von Blackpool, nachdem Kinder damit am Strand Fußball gespielt haben. Screwball-Comedy als Splatter anstelle quietschender Gummihühner.

In Las Vegas stehen derweil echte Komiker auf der Bühne und mühen sich mit Witzen ab, die nicht lustig sind. Tommy Fawkes soll als Alleinunterhalter die Lacherfolge seines Vaters (Jerry Lewis) fortsetzen. Doch er grübelt, wo andere längst freimütig gestolpert wären – das Gesicht durch falsche Fröhlichkeit entstellt, die Angst vor dem mächtigen Humor des Vaters im Nacken, endet seine Premiere als Desaster. Tommy schickt dem Publikum ein herzhaftes „Fuck you“ hinterher, dann flüchtet er nach Blackpool, um bei Komikern alter Schule Witze einzukaufen.

Der britische Humor ist für den verbitterten Amerikaner zunächst eine Prüfung. Jeder hat hier einen Knacks. Wirre Kriegsveteranen defilieren mit Keksdosen an ihm vorbei, spleenige Damen begleiten bellende Hunde am Klavier. Sie sind allesamt gescheitert, und ihre freundlichen Verdrehtheiten für das Showbusiness kaum brauchbar. Dann aber begegnet Tommy einem stummen Trottel namens Jack. Lee Evans – der größte Stand-up-Comedian seit Steve Martin – fletscht die Zähne, rollt mit den Augen, zieht die Stirn in Falten und verrenkt seine Glieder, als hätte Chuck Jones ihn gezeichnet. Jack scheint in jede Rolle zu schlüpfen, ohne daß er sich bloß vom Fleck rührt – als wären tausend Wesen in ihm eingesperrt. Manchmal macht er einfach die Käfigtür der eigenen Existenz auf und läßt einige von ihnen heraus. Während Tommy der Bezug zum Körper fehlt, hat Jack den Verstand verloren.

Daß sie Halbbrüder sind, paßt zum traumwandlerischen Reigen, den Peter Chelsom als Parabel auf ungemeistertes Seelenleid zeigt. Irgendwann greifen alle Verfehlungen und Mißgeschicke als Wiederholung ineinander: Auch Fawkes, der Vater, hatte sein komödiantisches Talent bei den Zirkusleuten von Blackpool abgeguckt. Schließlich war er nach Amerika gegangen, und eine schwangere Varietéschauspielerin blieb zurück (Leslie Caron schüttelt die Figur wunderbar aus dem Ärmel). Nun versucht es ein anderer Fawkes auf die gleiche Tour, ausgerechnet bei Jack, an dem das Elend des alleingelassenen Sohnes nagt. Immerhin hat er aus Wut bereits einen Mitclown erschlagen.

Trotzdem muß man selbst über solche Abgründe schmunzeln, was nicht nur an dem im Alter stoisch komisch gewordenen Jerry Lewis liegt. Manchmal winken einem aus „Funny Bones“ auch Kafkas Gestalten entgegen, die noch im Fallen Purzelbäume schlagen.

„Funny Bones“. Regie: Peter Chelsom. Mit Oliver Platt, Lee Evans, Oliver Reed, Jerry Lewis, Leslie Caron. GB 1994, 128 Minuten.

17.2. HKW 21.15; 18.2. Atelier am Zoo 15.30