: Berlin-on-demand
■ Das erste von sechs Pilotprojekten "interaktives Fernsehen" ist in Berlin gestartet
Mit 50 Empfängern startete das Deutsche Fernsehen, das am 22. März 1935 erstmals ein Programm ausstrahlte. Fünf Bildschirme standen im Berliner Haus des Rundfunks am Funkturm, die anderen bei Post- und Rundfunkmitarbeitern zu Hause.
Fast genau 60 Jahre später erinnert die Telekom nicht mehr gerne an Hitlers Prestigeprojekt, der unbedingt der BBC zuvorkommen wollte. Aber für den ersten Schritt ins interaktive Fernsehzeitalter hat auch sie sich Berlin ausgesucht, und wieder sind es fünfzig Bildschirme, davon nur drei öffentlich zugängliche: im Kaufhaus KaDeWe, im Rundfunk- und im Postmuseum. Seit Mittwoch darf dort ein bißchen von dem ausprobiert werden, was die digitale Revolution der Medien bald für alle möglich machen soll. Tobt heute noch der Kampf um die knappe Zahl der TV-Kanäle im Kabel und auf den Satelliten, so wird morgen jeder interaktivierte couch potato seinen Kanal für sich haben – und noch einen zweiten (den „Rückkanal“), auf dem er bestellt, was er sehen oder kaufen will.
Für ihr erstes Pilotprojekt – insgesamt freut sich die Republik auf sechs interaktive Versuchseinheiten – hat die Telekom in den letzten Wochen sieben Kanäle im Berliner Kabelnetz digitalisiert (auf den bisher nicht nutzbaren Frequenzen des sog. „Hyperbandes“). Und da das Geheimnis der Digitalisierung „Datenkompression“ heißt – auf jeden alten Kanal passen dann sechs bis zehn neue –, haben die 50 TeilnehmerInnen schon mal je einen für sich. Als Rückkanal dient ihnen vorerst das Telefon, angeschlossen über ein Computermodem.
Noch reicht das aus, denn aktiv werden können die Interaktiven fürs erste nur mittels einer etwas modernisierten Fernbedienung. Mit ihr holen sie verschiedene Menüs auf den Bildschirm – wie Spielfilme, Teleshopping oder ein „Stadtinformationssystem“. Hier läßt sich wiederum wählen zwischen den Menüs Restaurants, Hotels, lokalen Nachrichten und Sehenswürdigkeiten. Die Telekom hatte Eile mit dem Projektstart, und so muß man sich dort, wo später der Restauranttisch vorbestellt werden kann, noch mit kleinen Filmen über den Ku'damm und den Berliner Zoo begnügen.
Selbst stellt die Telekom, die in Berlin das dichteste Kabelnetz Europas besitzt (1,1 Millionen Anschlüsse), nur die Technik zur Verfügung, gemeinsam mit der Firma Alcatel/SEL. „Die Anbieter kommen dann von alleine“, sagt Telekom-Bereichsleiter Johann Stekle. Damit hat er recht, was Teleshopping (Otto-Versand) und Fernsehsendungen angeht. Der ORB nutzt die Gelegenheit, um noch einmal die „Chronik der Wende“ zu zeigen; RTL recycelt „Ilona Christen“, „Hans Meiser“ und ein paar eigene Filmproduktionen; Pro7 dito; der SFB bietet berlinspezifische Sendungen nach der Erstausstrahlung als Video-on-demand, von der „Abendschau“ bis zum Kulturmagazin „Ticket“.
Doch eines fehlt – dummerweise das einzige, was nach Expertenmeinung die Fernsehmassen tatsächlich dazu verlocken könnte, nennenswerte Summen für interaktives Fernsehen auszugeben: aktuelle Kinofilme. Vor drei Monaten tönten die Telekom-Mitarbeiter, man sei da zuversichtlich, da in direkten Verhandlungen mit großen US-Studios („zum Beispiel Jurassic Park“). Heute spielt das der Verantwortliche Johann Stekle herunter: Kinofilme seien nicht so wichtig, die Leute sollten im Pilotprojekt doch erst mal mit der Technik vertraut gemacht werden.
Zugegeben wird auch, daß in dem Lizenzgestrüpp zwischen Hollywood und Europas TV-Sendern die Rechte für die Videothek im Wohnzimmer nirgendwo zu finden sind. Zunächst dachte die Telekom, ihr idealer Partner sei der Pay-Kanal Premiere. Der zeigt schließlich einigermaßen aktuelle Kinofilme, und dort ist auch Leo Kirch beteiligt, der bekanntlich 15.000 Filme auf Lager hat.
Doch für Hollywood-on-demand hat auch er keine Rechte. Und die Telekom offenbar bisher keinen geeigneten Einkäufer. Leute, die sich anboten, stellten sich als unseriös heraus, ist im Telekom-Flurfunk zu hören. Premiere- Einkäufer, die für das Telekom- Projekt in Hollywood anklopften, seien verwundert empfangen worden: Da war nämlich bereits jemand aufgetaucht, der auch schon mal mit der Telekom geredet hatte und angeblich für sie verhandelte. „Eigentlich müßten wir uns mal einen Experten von Bertelsmann besorgen, der das richtig kann“, sagt bescheiden ein Mitarbeiter, der nicht namentlich zitiert werden möchte.
Neben den fehlenden Kinofilmen liegt der Telekom noch ein zweiter Stein schwer im Magen. Werden aus den 50 Versuchsteilnehmern im nächsten Jahr schon mal einige tausend zahlende Kunden, dann braucht es eine Abonnentenverwaltung: Der Konsum von Filmen und Versandhauskleidern muß registriert, es muß abgerechnet und kassiert werden. Im letzten Jahr hatte die Telekom dafür gemeinsam mit Bertelsmann und Kirch eine Firma gegründet, die Media Service GmbH. Doch die wurde von der Europäischen Kommission nicht genehmigt, die Branchenriesen hätten anderen die Teilnahmebedingungen diktieren können.
Nun soll nachgebessert werden, seit vier Monaten schon. Andere Unternehmen sollen beteiligt werden. Und immer noch druckst die Telekom herum. Ja, man verhandele weiter mit Bertelsmann und Kirch, aber nicht nur. Offenbar ohne Ergebnis und allmählich unter Zeitdruck. Schließlich digitalisiert die Telekom in Berlin bis Jahresende alle freien Kanäle im noch ungenutzten „Hyperband“, und eine Reihe von Sendern, darunter das ZDF, Sat.1 und Eurosport, wollen dann Sendungen anbieten, die in kurzen Abständen, etwa alle Viertelstunde, immer neu beginnen („near-video-on-demand“).
Bis zur Berliner Funkausstellung im August müssen die Kleincomputer fürs Digitale („Settop- Boxen“) in Serie gehen. Dann muß auch die Servicegesellschaft für die Abrechnungen stehen.
Telekom-Bereichsleiter Stekle ist zwar zuversichtlich, daß er das „noch in der ersten Jahreshälfte“ schafft. Doch auch er hat „schon davon gehört“, daß ihm Konkurrenz droht: die Berliner Firma EMG, die der East German Investment Trust gehört, will die acht freien digitalen Kanäle betreuen. Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen ist zu hören, daß die Medienanstalt Berlin-Brandenburg tatsächlich daran denkt, für die Servicegesellschaft eine Ausschreibung zu starten. Das würde dem Trio Bertelsmann/Kirch/Telekom noch einmal ordentlich Dampf unter dem digitalisierten Hintern machen. Michael Rediske
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