: Erster Recycling-Fernseher stammt aus Berlin
Berliner Institut entwickelt eine Glotze aus Stahl, deren Gehäuse und Technik stahlschrottverträglich sind / Keine Einzelidee war wirklich neu, doch Kombination gilt als Revolution / Ingenieure denken nicht an Leben nach dem Tod ■ Von Christian Arns
Eine echte Wiederverwertung ist also doch möglich: Vom Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) wurde jetzt in Zusammenarbeit mit dem Gerätehersteller Loewe Opta ein Fernseher entwickelt, der stahlschrottverträglich und damit wiederverwertbar ist. Bedeutsam ist das nicht nur für den Rundfunkbereich. Vielmehr wird mit dem Loewe-Prototyp ein hochtechnisches Gerät vorgestellt, dessen stoffliches „Leben nach dem Tod“ den Ausgangspunkt für die Konstruktion bildete. „Es ist immer behauptet worden, daß die Schließung von Stoffkreisläufen naturgegeben nicht möglich ist“, nennt Dr. Holger Rogall ein Argument, das der von ihm geleitete IZT-Fachbereich für ökologische Wirtschaftsforschung zu widerlegen suchte: „Ich behaupte, daß wir mit dem stahlschrottverträglichen Fernseher bewiesen haben, daß schon jetzt die annähernde Schließung sehr wohl machbar ist.“ Dabei sei die stoffliche Verwertung das Ziel gewesen, nicht das oft praktizierte Downcycling: „Wenn aus altem Kunststoff Parkbänke werden, ist das kein Recycling, sondern dezentrale Deponierung.“
Die entscheidenden Probleme seien nicht technische oder naturgegebene, „sondern die Mauern in den Köpfen der Ingenieure und die Vorgaben der Geschäftsleitungen“. Rogall, der neben seiner IZT-Tätigkeit umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist, beschreibt die neue Herangehensweise: „Wir haben eingeführt, daß von der späteren Verwertung aus gedacht wurde.“ Außerdem sei der zu erwartende Energieverbrauch berücksichtigt worden, auf giftige Stoffe habe man verzichtet: „Diese drei Aufgaben haben sich die Ingenieure so nie gestellt.“
Die Resultate dieser Überlegungen beziehen sich allerdings nur auf zwei Drittel des neuen Fernsehers, denn die Bildschirme stellt Loewe Opta wie die meisten großen Anbieter keineswegs selbst her. Auch für den Prototyp wurden sie unverändert zugeliefert, wie IZT-Diplombiologe Siegfried Behrendt einräumt: „Bisher gibt es noch keine erkennbaren Ansätze, die auf eine Entwicklung umweltgerechter Bildröhren hinauslaufen könnten.“ Es fehlten „befriedigende Lösungen für eine fachgerechte Entsorgung“.
Bei der Entwicklung des neuen Prototyps sei es daher wichtig gewesen, „daß die drei großen Bauteile Gehäuse, Bildschirm und Elektronik mit wenigen Handgriffen zu trennen sind“, erklärt Rogall. Damit war bereits ein Schritt auf dem Weg getan, den das Bundesministerium für Forschung und Technologie im Oktober 1988 vorgegeben hatte: Gearbeitet werden sollte an der „entsorgungsfreundlichen Gestaltung komplexer Produkte“. Damit sollte der Erkenntnis Rechnung getragen werden, daß der ungeheure weltweite Energieverbrauch vor allem auf die Produkte zurückgeht. „Beispielhaft dafür ist, daß die Industrie ständig neue Materialien entwickelt, ohne daran zu denken, daß sie zu Abfall werden“, so Siegfried Behrendt. Müll fällt bei der Verwertung des TV-Stahlgehäuses nicht mehr an, da es eingeschmolzen und zu einem neuen Gehäuse gemacht werden kann. Auch müssen keine giftigen Flammhemmer mehr benutzt werden, wie dies bei den andernfalls leicht brennbaren Kunststoffgehäusen nötig ist. Diese Idee brachte IZT und Loewe den Stahl-Innovationspreis 1994 ein.
Die „echte Revolution“ sieht Holger Rogall jedoch bei der Technik: Die einzelnen Bauteile würden nicht mehr auf Duroplaste gelötet, da diese Kunststoffe den Stahl beim Einschmelzen verunreinigten. Vielmehr würden die Bauteile auf ein Keramiksubstrat gesteckt, das der Stahlofen für den Schrottschmelzprozeß ohnehin benötige. In diese Keramikplatte würden die Leitungen hineingeätzt: „Es gibt also nicht mal mehr Drähte, die brechen könnten.“
Vollends glücklich ist jedoch auch Rogall mit der Technik noch nicht: Noch immer sind zehn kleine Teile mit Plastik oder Kupfer ummantelt; sie müssen daher herausgebrochen werden, ehe der Rest eingeschmolzen wird. „Das sind zwar ganz einfache Handgriffe, aber perfekt geschlossen ist der Stoffkreislauf an dieser Stelle nicht.“ Bis zur nächsten Internationalen Funkausstellung (IFA) im Herbst sollen es nur noch vier Störenfriede sein, hofft Rogall. Völlig neu sei keine der Ideen gewesen, räumt der Fachbereichsleiter freimütig ein, manche vermeintlichen Neuerungen seien zehn bis fünfzehn Jahre alt. Das Ideenpaket zu schnüren reiche aber nicht, es müsse sich auch am Markt durchsetzen, fordert Rogall: „Daher muß sich der Staat zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: Entweder er fördert solche Projekte, damit die Geräte für den Verbraucher nicht teurer sind und er daher Druck auf die Hersteller ausübt“, oder er ändere die Rahmenbedingungen, so daß das Eigeninteresse der Produzenten entsprechend wachse: „Denkbar wären Rücknahmepflicht und Pfand.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen