piwik no script img

Aschermittwoch in Cournonterral

Vom Kampf der Guten gegen die Bösen zum Ende des Karnevals in Südfrankreich  ■ Von Günter Schenk

Eine kleine Gemeinde im Südwesten Frankreichs ist jährlich am Aschermittwoch Schauplatz eines heftigen Kampfes. Denn in Cournonterral, einem Winzerdörfchen zwischen Montpellier und Sète, macht der „Paillas“ Jagd auf alle, die seinen Weg kreuzen. Seine Opfer sind vor allem die mit Stroh gepolsterten „Blancs“, ganz in Weiß gekleidete junge Burschen. Volkskundler deuten den Kampf der beiden als Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, als altes fastnachtliches Spiel, das den Menschen ihre Schwächen vor Augen führen soll.

Schon am Morgen packen die Bürger von Cournonterral ihre Häuser in große Plastikplanen, machen Fenster und Türen wasserdicht. Bordsteinkanten, Hindernisse auf dem Bürgersteig werden mit Stroh umwickelt – schließlich soll bei der Jagd durch die Gassen niemand verletzt werden. An zentralen Plätzen der Innenstadt deponieren die Winzer eine klebrig- zähe Masse in hölzernen Bottichen: Weinhefe.

Nachmittags treffen sich die Burschen am Ortsrand. Spezialisten polstern den Paillas hier aus, füllen die Jutesäcke, die er wie ärmellose Pullover über dem Hemd trägt, mit Stroh. Ein dunkler Bart verhüllt sein Gesicht, den Kopf krönt ein ausgebeulter Zylinder, in dem ein paar Truthahnfedern stecken. Zum Schluß werden seine Schultern mit kleinen Buchsbaumsträußchen bestückt. Damit ist der Paillas zum Kampf bereit. Fast ganz in Weiß kommt sein Gegenspieler, der Blanc. Rote Gürtel oder Halstücher sind seine einzigen Farbtupfer.

Gegen 15 Uhr ziehen die Kontrahenten durch das Dorf, voran Trommler und Trompeter, dahinter die über hundert Kämpfer. Gemeinsam schreiten sie die Streitarena ab, die Gassen um das alte Rathaus. Hastig werden letzte Fensterläden zugeklappt, die Türen fest verrammelt. Denn wenn der Maskenzug wieder am Rathaus ist, beginnt die Schlacht.

Zunächst aber werden die Fässer mit Weinhefe auf die Straße gekippt, wälzt sich der Paillas voller Übermut in der schmutzigen Brühe. Genüßlich zieht er einen alten Stofflappen durch die trübe Soße. Wer ihm jetzt in die Quere kommt, muß dran glauben, wird mit dem nassen Fetzen malträtiert.

„Sar, Sar!“ ist der Schlachtruf, mit dem der Paillas seinen weißgekleideten Gegnern kreuz und quer durch die engen Gassen nachwetzt. Jeden Volltreffer feiert er mit einem Glas „Carthagêne“, einem Likörwein. Das Festgetränk der Region ist Balsam für die Kämpferseele – Stimulans für weitere Attacken. Fehlt der Gegner, werden Fenster, Wände und Türen mit den feuchten und stinkenden Lappen geprügelt, markiert der Paillas brutal sein Reich.

Die „Weißen“ sind an diesem Tag auf verlorenem Posten. So will es die Spielregel. Längst kleben ihre Hosen und Hemden fest am Körper, tropft den meisten die dreckige Brühe von den Haaren ins Gesicht. Sind sie schmutzigschwarz geworden, hat das närrische Spiel ein Ende. Wie in vielen anderen Ländern auch, wo das Schwärzen der Gesichter zum fastnachtlichen Treiben gehört, markieren auch die Aktionen des „Paillas“ die zügellose Triebhaftigkeit des Narren.

Diese kulturgeschichtlichen Hintergründe aber sind den Bürgern in Cournonterral längst nicht mehr bewußt. Sie erklären ihr Spiel lieber mit einer historischen Fabel, mit einer Geschichte aus dem 14. Jahrhundert. Damals seien sie gegen ein Nachbardorf zu Felde gezogen, das ihnen den Holzeinschlag im nahen Wald streitig gemacht habe. Diese Legende ist verständlich, mit dem närrischen Spiel am Aschermittwoch aber hat sie nichts zu tun.

Pünktlich um 6 Uhr abends signalisieren Trompetenstöße den Schluß der Schlacht. Das Rollenspiel hat ein Ende. Türen und Fenster gehen wieder auf. Die Kämpfer haben jetzt ein paar trockene Klamotten, vor allem aber ein Bad verdient. Und viel Wasser braucht auch die Feuerwehr, um Straßen, Plätze und Fassaden gründlich zu säubern. Am späten Abend aber treffen sich die Narren wieder, um den Paillas für seine Taten zu verurteilen und ihn als Strohfigur öffentlich zu verbrennen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen