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■ Zugangshürden für qualifizierte AusländerRuhigen Gewissens

Zugangshürden für qualifizierte Ausländer

Ruhigen Gewissens

„Künftig sollen nur noch Deutsche und EG-Ausländer eine Taxikonzession erhalten.“ Das Versprechen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Eberhard Diepgen, an die protestierende Taxi-Innung im Januar 1989 – bei damals 3.800 Taxikonzessionen wurden fünf an Türken und Jugoslawen vergeben – war ein Abgesang. Heute kann jeder, der nachweist, daß sein Lebensmittelpunkt auch künftig in der Stadt liegen wird, ungeachtet seiner Staatsbürgerschaft eine Konzession beantragen.

In den letzten Jahren wurden rechtliche Zulassungsbeschränkungen zur Arbeitswelt für Immigranten schrittweise abgebaut. In der Bundesrepublik Deutschland haben über 95 Prozent der rund 2,2 Millionen ausländischen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Das gilt uneingeschränkt für das Baugewerbe und die verarbeitende Industrie. In weiten Bereichen des öffentlichen Dienstes jedoch sichern sich die Deutschen durch Zugangshürden ab. So ist der bundesdeutsche Beamtenapparat mit über zwei Millionen Beschäftigten eine fast ausnahmslos innerdeutsche Angelegenheit. 13 Nichtdeutsche unter seinen 74.000 Beamten zählte das Statistische Landesamt Berlin 1994.

Die Verantwortlichen können mit ruhigem Gewissen darauf verweisen, daß das mit Diskriminierung nichts zu tun habe. Schließlich schreibt das Beamtenrecht fest, daß diesem Staate nur dienen kann, wer Deutscher im Sinne des Artikel 116 des Grundgesetzes ist. Allerdings sind nach dem Beamtenrecht Ausnahmen möglich, wenn für die Gewinnung der Beamten ein „dringliches dienstliches Bedürfnis besteht“. Dies wurde in der Vergangenheit in Einzelfällen durchaus gesehen, dabei handelte es sich meist um Wissenschaftskoryphäen, die man für die Lehre und Forschung an bundesdeutschen Universitäten gewinnen wollte. Bei Mitarbeitern in der Verwaltung, den Jugend- und Sozialämtern tut man sich schwerer, obgleich gerade hier die Sprachkompetenz und das kulturelle Wissen „ausländischer“ Mitarbeiter von großem Nutzen sein könnte.

Natürlich wird dieser Bedarf an ausländischen Fachkräften für die Arbeit in Kitas, Schulen und den kommunalen Verwaltungen gesehen, aber in der Einstellungspraxis ist davon wenig zu spüren. Selten wird von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Beamten- in Angestelltenstellen zu verwandeln, um sie damit für Nichtdeutsche zugänglich zu machen. Der Grund: Die Personalräte möchten alte Pfründe sichern und so viele Beamtenstellen wie möglich retten. Und für die Haushaltsexperten sind Beamte kurzfristig billiger als Angstellte, da für die öffentliche Hand keine Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge anfallen. Das Land Brandenburg demonstrierte kürzlich, daß der politische Wille Berge versetzen kann. Seit Herbst 1994 gilt hier eine Quote, die vorsieht, daß künftig zehn Prozent aller Polizeischüler Nichtdeutsche sein sollen. Sie durchlaufen die Ausbildung und werden im Anschluß in den regulären Polizeidienst aufgenommen und verbeamtet – ohne deutsche Staatsbürger werden zu müssen.

Auch die Ärzteschaft versteht es, ihre Interessen gegen ausländische Konkurrenz zu verteidigen. Eine angemessene interkulturelle Zusammensetzung der Ärzteschaft verhindert ein Grundsatz der Ärzteordnung: Nur deutsche Ärzte sind grundsätzlich berechtigt, die Bevölkerung in Deutschland zu behandeln. Auch für EG-Ausländer und Asylberechtigte stehen die Chancen gut, eine Praxis eröffnen zu dürfen. Aus diesem Kreis stammt die Mehrheit der rund 2.950 niedergelassenen nichtdeutschen Ärzte. Ärzte aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien – aus diesen Ländern kommen mit 2,5 Millionen Zuwanderern die Mehrheit der Immigranten – gehören nicht dazu.

Unter den rund 107.000 niedergelassenen Ärzten der Republik findet man nur 196 türkischer Nationalität. Entspräche der türkischsprachige Anteil unter Deutschlands Ärzteschaft dem Anteil der Türken an der Gesamtbevölkerung, müßten es rund 2.400 sein. Dieses Mißverhältnis hat vordergründig ebenfalls nichts mit Besitzstandsdenken zu tun. Die Verantwortlichen können bei den Bedarfsprüfungen auf das „Gesundheitsstrukturgesetz“ verweisen, das eine für Deutsche und Nichtdeutsche gleichermaßen geltende Zulassungssperre vorsieht, wenn ein bestimmter Schlüssel des Verhältnisses von Ärzte- und Einwohnerzahl erreicht ist. Allerdings gibt es die Möglichkeit von „Sonderbedarfszulassungen“, wenn ein lokaler Versorgungsbedarf nachgewiesen werden kann. Und dieser Bedarf besteht vor allem in Einwanderregionen.

Natürlich wäre es blanker Unsinn, zu fordern, Türken sollen sich medizinisch von Türken versorgen lassen, Kroaten von Kroaten ... Allerdings gibt es gerade in der Gesundheitsversorgung sensible Bereiche. So gibt es in Berlin nur eine türkische Gynäkologin, die neben der medizinischen Qualifikation Kenntnisse über Moral, Familiendynamik und Sprache mitbringt. Für die rund 140.000 türkischsprachigen Berliner stehen nur zwei sprachlich kompetente Psychiater zur Verfügung. Die Mängelliste ließe sich fortsetzen.

Muttersprachlichen Ärzten, die in Deutschland studierten, ihre Ausbildung absolvierten und anschließend beabsichtigen, sich hier niederzulassen, wird häufig aus edlen Motiven die Berufserlaubnis verweigert. „Um zu verhindern, daß die Intelligenz aus den ärmeren Ländern abwandert, wird die Berufserlaubnis erst erteilt, wenn die Ärzte nach der Ausbildung in Deutschland drei Jahre in ihrem Heimatland gearbeitet haben“, schreibt ein ministerieller Beschluß aus dem Jahr 1971 vor.

1963, als 1.000 Türken in West-Berlin lebten, mehrheitlich Studenten, war die bundesdeutsche Ärzteschaft noch nicht von diesem Eine-Welt-Gedanken durchdrungen. 170 türkische Ärzte arbeiteten damals in Berlin, rund 700 in ganz Deutschland. Fast ausnahmslos studierten sie an der besten deutschsprachigen medizinischen Fakultät, die es zwischen 1936 und 1953 gab – der „Isanbul Üiversitesi“. Eberhard Seidel-Pielen

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