■ Warum es kein „Entsendegesetz“ gibt: Zwischen Salamitaktik und Hysterie
Die erfreuliche Tatsache steht in jedem Geschichtsbuch: Noch nie verfügte ein deutsches Parlament in der Außenpolitik über mehr Einflußmöglichkeiten als der Bundestag. Die unerfreuliche Tatsache: Der Bundestag nutzt seine Rechte nicht. Die Abgeordneten stehen stumm dabei, während die Regierung schrittweise Entscheidungen über künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr fällt und der Spielraum für ein Eingreifen des Parlaments immer enger wird.
Der Bundestag scheut eine Abstimmung über den Einsatz deutscher Soldaten beim möglichen Abzug der UNO-Truppen aus Bosnien, obwohl die Vorbereitung dieses Einsatzes längst in die entscheidende Phase getreten ist. Denn auf die konkrete Anfrage des Nato-Oberbefehlshabers wird die Bundesregierung rund 2.000 deutsche Soldaten für den Fall des politisch unerwünschten Abzugs zusagen – auch wenn sie formalrechtliche Vorbehaltsklauseln wahrt. Das Parlament, dem nach dem Karlsruher Urteil die Entscheidung zusteht, soll erst später abstimmen. Tritt der Ernstfall dann aber ein, minimieren die mit Bonner Hilfe geschaffenen Zwänge den Entscheidungsspielraum. Für die notwendige öffentliche Debatte ist dann auch keine Zeit mehr.
Es ist richtig: Den Abzug wollen UNO und Nato nicht, seine Planung durch die Nato schafft politischen Druck, und eine Abstimmung des Deutschen Bundestages über eine Beteiligung deutscher Soldaten im Eventualfall würde in Ex-Jugoslawien als Signal aufgefaßt, daß dieser Abzug beschlossen ist. Aber dieser unerwünschte Nebeneffekt ist nicht der Grund, warum die Fraktionen im Bundestag eine Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt scheuen und sich mit Unterrichtungen durch die Regierung in den Ausschüssen zufriedengeben.
Für die Union besteht kein Anlaß zum Handeln: Die Mehrheit im Parlament ist denkbar knapp, ein „Entsendegesetz“ würde nur die eigenen Handlungsmöglichkeiten einschränken. Die FDP, beschäftigt mit der Abwehr von Attacken des Verteidigungsministers auf Klaus Kinkel, wird sich für ein solches Gesetz ebenfalls nicht stark machen.
Doch auch die Opposition drängt nicht auf eine Klärung. In der SPD bricht unweigerlich ein wilder Interviewkrieg aus, sobald Entscheidungen zur Außenpolitik anstehen. Eine Abstimmung einzufordern macht nur Sinn, wenn man weiß, was man will. Die SPD aber weiß es nicht und ist froh, daß der innerparteiliche Streit vorübergehend ruht.
Und die Bündnisgrünen? Auch sie sehen keinen Anlaß, sich als Wahrer der Parlamentsrechte zu präsentieren. Sie können kein „Entsendegesetz“ im Bundestag fordern, weil die mehrheitlich pazifistische Partei der eigenen Fraktion die Vorbereitung deutscher Kampfeinsätze nie verzeihen würde. Jetzt rächt sich für Grüne und SPD, daß sie vor dem Karlsruher Urteil das Angebot ausschlugen, eine prinzipielle Zustimmung zu Auslandseinsätzen an eine qualifizierte Mehrheit zu binden. Daß sich die Grünen der Frage nach der Notwendigkeit militärischer Gegengewalt inzwischen ernster stellen, begünstigt – böse Ironie – die PDS: Sie besetzt das geräumte Feld mit ebenso folgenlosen wie radikalpazifistischen Initiativen.
Die „Salamitaktik“ der Regierung bei der Vorbereitung von Auslandseinsätzen ist ebenso kritikwürdig wie effektiv. Das Parlament muß sein Entscheidungsrecht jetzt einfordern. Wer dafür nicht streitet, darf sich nicht wundern, wenn die Taktiker im Kabinett weiter Scheibe um Scheibe schneiden. Allein von hysterischen Warnungen vor angeblichen Kriegstreibern werden sich die Minister jedenfalls nicht beeindrucken lassen. Hans Monath
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