■ John Majors Angst hat beim Nordirland-Papier obsiegt: Ohne Kompromisse geht nichts
Das anglo-irische Diskussionspapier für Nordirland liegt endlich vor – und damit ist der wichtigste Punkt bereits genannt. Die Gerüchte und gezielten Indiskretionen hatten im Vorfeld für viel Verwirrung gesorgt: Die Unionisten, die für die Union Nordirlands mit Großbritannien eintreten, befürchteten, die gesamtirischen Institutionen würden unweigerlich zu einem vereinigten Irland führen, die Nationalisten hegten den Verdacht, daß dieses vereinigte Irland aufgrund des unionistischen Vetos weiter entfernt denn je sei. Letzteres hat sich bestätigt.
Man muß zu dem Schluß kommen, daß beim britischen Premierminister John Major die Angst gesiegt hat: Um die Stimmen der unionistischen Abgeordneten – auf sie ist Majors Minderheitsregierung im Unterhaus angewiesen – nicht zu verlieren, enthält das Papier so viele Sicherungen für die Unionisten, daß ohne ihre Zustimmung nichts läuft. Das „Recht auf nationale Selbstbestimmung“, das dem „irischen Volk“ garantiert wird, ist lediglich eine Floskel, weil auch in diesem Fall ein unionistisches Veto vorgeschaltet ist. Genauso sieht es bei den gesamtirischen Institutionen aus: Wenn sie den Unionisten nicht gefallen, wird es sie nicht geben.
Eine Lösung in Nordirland kann nur durch Kompromisse erzielt werden. Die sind in dem Papier jedoch nur schwer auszumachen. Die britische Regierung hat sich im Bewußtsein ihrer Schwäche dem präventiven Säbelrasseln der Unionisten gebeugt. Das meinte Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams, als er vor einem Jahr sagte, eine Lösung in Nordirland erfordere eine starke konservative Regierung in London. Auch wenn der radikale Protestant Ian Paisley von einer „Kriegserklärung“ spricht, so wird sich bei den Unionisten doch die Erkenntnis durchsetzen, daß sie mit dem Regionalparlament das geforderte Instrument für die Sicherung ihrer Vormachtstellung erhalten haben, ohne dafür einen Preis zahlen zu müssen.
Die Frage ist, ob Adams seine Kritiker in „Sinn Féin“ und IRA davon überzeugen kann, daß der Friedensprozeß nach wie vor auf Kurs sei. Falls nicht schleunigst Allparteiengespräche oder zumindest bilaterale Gespräche zwischen „Sinn Féin“ und der britischen Regierung auf Kabinettsebene einsetzen, steht Adams mit leeren Händen da. Die Unionisten haben es bis auf weiteres abgelehnt, mit „Sinn Féin“ zu verhandeln. Major spielt in diesem Punkt auf Zeit. Falls die Informationen stimmen, daß die IRA im Augenblick den Friedensprozeß einer Analyse unterzieht, wird diese Zeit knapp. Ralf Sotscheck, Dublin
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