: Scherings Tanz um das fötale Gewerbe
Moskauer Institut betreibt schwunghaften Handel mit abgetriebenen Föten ■ Von Ingrid Schneider
Das Debakel um das Hannoveraner Symposium zur Fötalgewebe-Transplantation Ende Januar, zu dem nur handverlesene Journalisten zugelassen wurden, hat ein Nachspiel: Die Pharmafirma Schering distanziert sich in einem Brief an den Neurochirurgen Guido Nikkhah, Hauptorganisator der Tagung, von der „Geheimnistuerei“. Durch den „restriktiven Umgang mit der Presse“ sei Schering „ein beträchtlicher Imageschaden entstanden“. Schering hatte das Symposium als Sponsor unterstützt.
Wirbt hier ein Weltkonzern für die Pressefreiheit? Oder sucht Schering den Ruch der Verwicklung ins Fötalgewerbe von sich abzuwaschen? Grund zu dieser Annahme: Schering hat seit Oktober 1992 über 950 Ampullen des Abtreibungsmittels Nalador an eine Moskauer Klinik geliefert. Nalador ist ein Wehen auslösendes Prostaglandin, das für Abbrüche im zweiten Schwangerschaftsdrittel eingesetzt wird. Frauen, die im Moskauer Zentrum für Geburtshilfe und Gynäkologie bis zum siebten Monat nach sozialer Indikation abtreiben lassen, wird eine Erklärung vorgelegt: Darin unterschreiben sie, daß sie für die Abtreibung kein Geld bekommen und damit einverstanden sind, ihren Fötus „für wissenschaftliche Forschungen und therapeutische Anwendungen zur Verfügung zu stellen“. Sofort nach dem Eingriff wird der Fötus an einer sterilen Werkbank fachgerecht zerlegt: Die heraussezierten Organe und Gewebe – vom Hirn über Bauchspeicheldrüsen, Leber bis hin zu Knochen – werden zu Gewebepräparaten verarbeitet und schockgefroren. Die tiefgekühlten Zellen lagern in einer Gewebebank, dem Internationalen Institut für Biologische Medizin (IIBM), das Ende 1992 gegründet wurde – just zu dem Zeitpunkt, als Schering seine Lieferungen begann.
Das direkt in der Moskauer Klinik angesiedelte IIBM ist eine kommerzielle Einrichtung. Die fötalen Zellpräparate werden unter anderem in die USA exportiert und dort Diabetikern verpflanzt. In Moskau selbst arbeitet das Institut mit verschiedenen Ärzten zusammen, die das fötale Gewebe Patienten mit Parkinson, Diabetes, Verbrennungen, Immunstörungen und anderen Krankheiten transplantieren. Auch westliche „Kunden“, die sich von den fötalen Frischzellen eine Verjüngungskur erhoffen, werden bedient. Außerdem hat das Institut unter Leitung des Klinik-Immunologen Gennadij Suchich an über hundert Heimkindern mit Down-Syndrom Experimente mit fötalen Zell-Injektionen unternommen.
Von all diesen Menschenversuchen will Schering keine Kenntnis gehabt haben. Obwohl deutsche Medien bereits mehrfach über die Praktiken der russischen Gewebebank berichteten, behauptet der Schering-Pressesprecher Mathias Claus, man habe erst vor wenigen Wochen von der Existenz der Gewebebank erfahren. Im September 1994 hat Schering wegen „Problemen mit dem Zwischenhändler“ seine Nalador-Lieferungen nach Moskau abgebrochen.
Nalador ist ohnehin nie von der russischen Arzneimittelbehörde zugelassen worden. Schering zufolge hat aber eine Sondergenehmigung des Gesundheitsministeriums zum Verkauf des Produkts vorgelegen. Russische Ärzte wollen damit Studien „zur Erhaltung der reproduktiven Gesundheit der Frauen“ durchgeführt haben. Doch der Import des West-Präparats dürfte wohl weniger dem Zweck gedient haben, Frauen zu einer schonenden Abtreibungsmethode zu verhelfen, sondern vielmehr, das Gewebe möglichst effektiv und „transplantationsgeeignet“ zu gewinnen.
Ein Indiz dafür ist, daß die russischen Frauen, im Gegensatz zu hierzulande, keine Schmerzmittel verabreicht bekommen, um die von Nalador ausgelösten heftigen Krämpfe besser auszuhalten. Denn die Schmerzmittel könnten wohl auch auf den Fötus übergehen und damit die „Qualität“ des gewünschten „Zellmaterials“ schädigen. Inzwischen „verurteilt“ Schering die „Herstellung von Frischzellen aus Föten“ und will erst wieder Nalador liefern, wenn „auszuschließen“ sei, „daß infolge der Verwendung unseres Produkts ein Mißbrauch mit fötalem Gewebe passiert“.
Man fragt sich allerdings, warum sich Schering erst jetzt, auf Nachfragen von außen, mit dem Verwertungszusammenhang seines Produkts befaßt. Die Schering- Vertreter, die seit Jahren in der Moskauer Klinik ein und aus gehen – man verkauft dorthin auch Verhütungsmittel –, müssen schon beide Augen fest zugedrückt haben. Schließlich sind die Aktivitäten der Gewebebank in Moskau beileibe kein Geheimnis. Sogar in großformatigen Zeitungsartikeln wurde der angebliche „therapeutische Nutzen“ des abgetriebenen Gewebes angepriesen – Telefonnummer und Adresse der Klinik inklusive.
Schwangeren Frauen wurde darin besonders kostengünstige und „qualifizierte Hilfe“ beim Schwangerschaftsabbruch versprochen – unter der Bedingung, daß sie ihren Fötus als „Rohstoff“ für die fötalen Geschäfte abgeben.
Noch in einem weiteren Punkt ist der „Fall Moskau“ für die deutsche Fötalgewebe-Diskussion höchst aufschlußreich: Denn die international geforderten „ethischen Richtlinien“ für solche Versuche werden in Rußland eingehalten: Abtreibung und Verwertung des Gewebes sind formal getrennt, die Frauen stimmen der medizinischen Nutzung ihres Fötus zu und dürfen die „Empfänger“ ihres Gewebes nicht selbst bestimmen. Der schwunghafte Handel mit dem fötalen Gewebe wird offiziell als Gebühren für „Beschaffungs- und Aufwandsentschädigung“ deklariert – und die sind auch nach den deutschen Regeln zulässig.
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