■ Mit Wohlstandskrankheiten auf du und du: Geld macht allergisch
Berlin (taz) – Je reicher, desto allergieanfälliger – so lautet die neueste Vermutung von Allergieforschern, die zu ergründen versuchen, warum immer mehr Menschen und vor allem Kinder an Neurodermitis, Heuschnupfen oder Asthma erkranken. Verblüffenderweise scheint diese These gleich dreifach zu stimmen: im internationalen Vergleich, im Ost-West-Vergleich und im Vergleich der Bevölkerungsschichten.
Zwar ist mittlerweile unbestritten, daß Umweltgifte Wegbereiter für Allergien sind. Das belegen zahlreiche Studien, unter anderen aus Bochum: Dort leiden SchülerInnen, die an Hauptverkehrsstraßen wohnen, überdurchschnittlich oft an Asthma und Heuschnupfen. Aber dennoch sind es nicht die östlichen Nationen mit hoher Luftverschmutzung, sondern die reichen westlichen Länder, die die höchsten Allergieraten aufweisen. Auch dazu gibt es Studien: Schulkinder im „sauberen“ schwedischen Sundsval reagierten bei einem Hauttest öfter allergisch als Kinder im polnischen Konin.
Ähnliche Resultate brachte ein innerdeutscher Vergleich zwischen Leipzig und München, bei dem die Kinderärztin Erika von Mutius rund 9.000 Schulkinder und ihre Eltern befragte. Dabei zeigte sich, daß im belasteten Leipzig die Kinder zwar viel öfter Husten und Bronchitis als im vergleichsweise sauberen München (33,7 Prozent gegenüber 15,9) bekamen. Doch im Westen war jedes dritte Kind allergisch sensibilisiert, während es im Osten „nur“ jedes fünfte war.
Auch innerhalb der Bevölkerung steigt mit dem Reichtum die Allergieanfälligkeit. So das Ergebnis einer Studie in den USA. Doch wie soll man diese Befunde erklären? Der unterschiedliche Lebensstil sei schuld, vermuten Experten wie Erika von Mutius oder ihr Kollege Ulrich Wahn. National wie international gesehen leben die Reichen zu sauber und schützen ihren Nachwuchs zu stark vor Krankheiten. Je öfter ein Kleinkind Infekte hat, desto weniger neige sein Immunsystem zum Überschießen, sprich zur allergischen Reaktion auf vermeintlich feindliche Stoffe, so von Mutius zur taz.
Im Westen hätten Kinder dazu weniger Gelegenheit, weil sie öfter als Einzelkinder aufwachsen, während sich die Ostkinder zu DDR-Zeiten in der Krippe ansteckten oder bei ihren Geschwistern.
Die neue Richtung in der Allergieforschung könnte die negative Einstellung von Eltern zu Krankheiten und Infektionsherden völlig ändern. „Spiel lieber mit den Schmuddelkindern!“ müßte Franz-Josef Degenhard heutzutage in einem Vorsorge- Spot singen. Ute Scheub
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen