■ Seit 1989 bekämpft die Journalistin Dai Qing den Bau des Drei-Schluchten- Staudamms am Yangzi. Die chinesische Regierung hält unbeirrt an dem Projekt fest: Ein gigantischer Alptraum
Warum ist das „Drei-Schluchten-Projekt“ für Partei und Regierung so wichtig?
Dai Qing: Gegenüber der Öffentlichkeit wurden vier Gründe genannt: Hochwasserkontrolle, Elektrizität, Schiffbarkeit und Entwicklung der lokalen Wirtschaft. Außerdem hatte es für einzelne Politiker verborgene Vorteile. Für Deng Xiaoping hat der Drei- Schluchten-Staudamm metaphysische Bedeutung; er ist Symbol für die Größe Chinas: „Es gibt nichts auf der Welt, das wir nicht zustande bringen, von der Großen Mauer bis zum Großen Staudamm.“ Für Ministerpräsident Li Peng ist das Projekt ein wichtiger Schritt auf seiner Karriereleiter. Als er sich zum ersten Mal für das Projekt einsetzte, war er nur Vizeminister für Elektrizität und Wasserressourcen; danach wurde er Minister, stellvertretender Ministerpräsident und schließlich Ministerpräsident. Der gegenwärtige Minister für Elektrizität, Qian Zhengying, und seine Mannschaft treiben das Projekt aus eigennütziger materieller Gewinnsucht voran. Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig, als für Verabschiedung des Projekts zu sorgen, da sie das vorgesehene Budget bereits für persönliche Zwecke ausgegeben hatten. Als ich sie 1989 in ihrem Beijinger Büro aufsuchte, um ihnen einige Exemplare von „Yangzi! Yangzi!“ zu überreichen, sah ich etwa 20 nagelneue teure Import-Autos in ihrer Garage. Der außergewöhnlich luxuriöse Lebensstandard dieser Leute und ihre neuen Prunkbauten in Beijing sind ebenfalls kein Geheimnis.
1989 bereiteten wir eine Klage gegen das ministerielle Planungsbüro des Yangzi-Projekts vor, da es bereits 500 Millionen Yuan (etwa 100 Millionen Mark) vor der Genehmigung des Staudamms erhalten hatte. Die Ratifizierung des Projekts war für sie sehr wichtig, wären sie doch sonst nach dem Verbleib des Geldes, das sie bereits ausgegeben hatten, befragt worden. IngenieurInnen, WissenschaftlerInnen, StaatsbeamtInnen der unteren Dienstgrade waren zum Schweigen verurteilt und mußten der Regierungspolitik gehorchen.
Wie wurden Sie ins Yangzi-Projekt involviert?
Ich graduierte an einer technischen Universität in Nordost- China, dem einzigen Institut, das StudentInnen in Raketen-Technik ausbildete. Nach meinem Examen arbeitete ich im militärischen Abschirmdienst, 1982 wechselte ich zum Journalismus über.
Die Reformen von 1980 brachten gewissermaßen auch eine größere Redefreiheit mit sich. Ich schrieb damals eine Kurzgeschichte, die gut ankam und in einer Auflage von mehr als einer Million zirkulierte. Es war die sehr traurige Geschichte eines durchschnittlichen Ehepaars, dem die uneingeschränkte Hingabe an Staat und KP nichts als Leid brachte. In der Folge veröffentlichte ich weitere vier Bücher. 1982, ich arbeitete als Journalistin/ Kolumnistin für die Guangming- Zeitung, hörte ich von der Debatte um das Drei-Schluchten-Projekt. Ein Team pensionierter WissenschaftlerInnen, IngeneurInnen und anderer AkademikerInnen kam von einer Besichtigung der „Drei Schluchten“ in Mittelchina zurück und wollte seine Erfahrungen publik machen.
Es ist schon seltsam in China, daß man heutzutage, solange man in Amt und Würden ist, nichts gegen die Regierungspolitik sagen kann; sie aber waren alt und pensioniert und hatten etwas mehr Redefreiheit. Das Durchschnittsalter der Gruppe war 72 Jahre.
Um die Ergebnisse ihrer Feldforschungen und ihre abweichenden Ansichten zu dem Projekt vorzustellen, organisierten sie nach ihrer Rückkehr nach Beijing ein Forum. Die Propagandaabteilung der KP hatte jedoch Zeitungen und Zeitschriften angewiesen, keine JournalistInnen zu diesem Treffen zu schicken. Ich ging hin und berichtete meinem Chefredakteur von dem Gehörten, den treffenden Argumenten. Ich bat ihn, sich zukünftig hinsichtlich der Propagierung des Projekts etwas zurückzuhalten.
Ich arbeitete wieder in meinem Ressort, bis man mich 1988 zu einer Konferenz nach Hongkong einlud. Unangenehm überrascht stellte ich dort fest, daß die Hongkonger Zeitungen und andere Medien sorgfältige Untersuchungen zum Drei-Schluchten-Projekt in meinem Heimatland durchgeführt hatten. Es war beschämend, daß das Projekt in Hongkong kritisch und besorgt diskutiert wurde, während wir in China so gut wie nichts über das Vorhaben wußten. Ich erfuhr, daß die Regierung 1989 die Entscheidung über das Projekt herbeiführen und kurz danach mit dem Bau beginnen wollte. Da die chinesischen Zeitungen das Thema nicht erwähnten, blieb mir nichts anderes übrig, als darüber zu berichten.
1989 nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz wurden Sie verhaftet.
Es lag keinerlei Anklage gegen mich vor. Nach chinesischem Recht kann die Polizei auf bloßen Verdacht hin Verhaftungen vornehmen. Werden jedoch innerhalb von 24 Stunden keine Beweise gefunden, muß die Entlassung folgen – aus meinen 24 Stunden wurden zehn Monate. Als ich entlassen wurde, gab mir die Polizei eine Bescheinigung, daß ich keine Verbrechen begangen, sondern lediglich ein paar Fehler gemacht hätte. Der erste Fehler war meine Unterschrift zur Unterstützung einer Shanghaierin, die von der Partei bestraft worden war. Obwohl ich auf mein Recht, zu unterschreiben und Telegramme zu schicken, bestand, blieb die Polizei dabei: Politisch gesehen war es ein Fehler.
Ihr Buch über die „Drei Schluchten“ wurde nicht erwähnt?
Nein. Dies hängt mit den Reformen seit 1980 zusammen. Uns sollte größere Redefreiheit zugestanden werden. Deshalb erwähnte die Polizei nie mein Buch. Aber allen war klar, daß ich deswegen verhaftet worden war. Anfangs engagierte ich mich gegen das Drei-Schluchten-Projekt, weil ich mich für die Redefreiheit in meinem Land einsetzen wollte. AkademikerInnen, IngeneurInnen und WissenschaftlerInnen, die sich mit dem Projekt befaßt und etwas dazu zu sagen hatten, sollten auch die Möglichkeit dazu haben. Verwehrte man ihnen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, so wollte ich als Journalistin Mittlerin sein. Meines Erachtens gehört zu einem derart gigantischen Projekt unbedingt eine öffentliche Debatte. Die mit dem Projekt einhergehenden verheerenden Zerstörungen von Gesellschaft und Umwelt waren mir damals noch unbekannt.
Schreiben Sie immer noch?
Ja, aber ich kann in China nichts herausgeben. Ich kann meine Artikel zur Veröffentlichung nach Hongkong, Taiwan und in die USA schicken. Es existiert eine „vertrauliche“ Liste mit den Namen von 16 AutorInnen, denen Publikationen verboten sind. Seit meiner Verhaftung ist auch mein Name auf dieser Liste, die die Regierung an alle Buchläden und Bibliotheken des Landes verschickt.
Mit dem Bau des Drei-Schluchten-Staudamms wurde schon begonnen. Wer finanziert das Projekt?
Die chinesische Regierung. Da deren Mittel jedoch nicht ausreichen, versucht sie, ausländische Investoren zu interessieren, derweil internationale Umweltgruppen ihre Regierungen dahingehend bearbeiten, das Projekt zu boykottieren. Jetzt liegt es in der Hand der US-Regierung, von deren Zu- oder Absage wiederum die Entscheidung Japans, Australiens, Hongkongs, Taiwans und anderer Länder abhängen wird.
Hat die Umsiedlung schon begonnen?
In einigen Provinzen ja, aber nur versuchsweise. Immerhin sind die katastrophalen Folgen schon absehbar; denn die Verantwortlichen wissen so gut wie nichts über die lokalen Verhältnisse. Wirklich gut sind sie nur in der Verbreitung der Propaganda. So gab es einen Artikel über Umgesetzte, denen es in ihrer neuen Heimat sehr viel besser ginge. Man hatte sie auf einem Berg angesiedelt, wo sie ihren Lebensunterhalt mittels Orangenplantagen verdienen sollten. Mit dem Artikel wurden Fotos der Bauern veröffentlicht, die ihre fruchttragenden Bäume bewundern. Das war reine Augenwischerei. Orangenbäume in dieser Gegend brauchen wenigstens fünf Jahre, um Früchte zu tragen, und das Umsiedlungsprojekt war gerade erst zwei Jahre alt!
Es gibt noch mehr Ungereimtheiten. Die meisten Regionen – Shanghai, Guangdong oder die Insel Hainan –, die einen Großteil der UmsiedlerInnen hätten aufnehmen sollen, verhielten sich ablehnend, da sie bereits überbevölkert sind. Nun hat die Regierung beschlossen, das Problem auf die Provinzen Hubei und Sichuan abzuwälzen. Zur Durchführung der Umsiedlung wurde finanzielle Hilfe zugesagt. Weil Sichuan keinerlei Nutzen aus dem Projekt zieht, ist man dort durchaus nicht begeistert. Im Gegenteil, der Hafen der Stadt Chongqing wird durch den sich vermehrt ansammelnden Schlamm und Schlick seicht.
Was halten die Betroffenen von dem Projekt?
Vor den Veröffentlichungen waren alle sehr glücklich und dankten der Partei, weil sie an bessere Orte kommen sollten. Dann realisierten sie, daß die Regierung sie hintergehen würde. Die lokalen Verwaltungen hatten die Budgets erhalten und anderweitig verwendet. Entgegen den Versprechungen würde es weder neues Agrarland noch Fabriken geben. Sie wußten, daß sie ohne Hoffnung auf Entschädigung Opfer bringen mußten.
Was unternehmen Sie jetzt?
Als ich in Beijing war, wollte ich ein Seminar über Zwangsumsiedlung organisieren, wurde aber von der Polizei gehindert, außerdem wurde mein Telefon angezapft. Man erlaubte mir nicht, einen Saal zu mieten. Eingeladene RednerInnen und ZuhörerInnen wurden von der Polizei verhört. Ich kann nur auf internationaler Ebene arbeiten. Aus vielen Ländern erhielt ich Einladungen, um über das Staudamm-Projekt zu sprechen und so die internationale Aufmerksamkeit auf die drei Yangzi- Schluchten zu lenken. Das ist alles, was ich zur Zeit tun kann. Interview: Nantiya Tangwisutijit
Gekürzt entnommen aus der Bangkoker Tageszeitung „The Nation“
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