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Den neuesten Papst in fünf Minuten Von Martin Sonneborn

Um das „Kapital“ von Marx, erster bis dritter Teil, systematisch aufzubereiten: Dafür braucht ein Mitarbeiter schon zwei bis drei Tage. Verleger Bondy im Interview.

„So viele Bestseller in den Literaturcharts von Spiegel, Focus, Wirtschaftswoche!“ stöhnen alleinerziehende Zahnärzte im Fränkischen. „Wer soll all die ins Deutsche übersetzten US-Topseller weglesen?“ flöten entsetzt überarbeitete Rechtsanwalts- und Notargehilfinnen in Küstennähe. „Ja, kann man denn überhaupt auf dem Laufenden sein über die wichtigsten Bücher unserer Zeit?“ fragen Kreativ-Direktoren aus dem Großraum Düsseldorf betreten, um sich gleich anschließend selbst kopfschüttelnd zu antworten: „Nein, beim besten Willen nicht, man müßte ja fünf Bücher in einer Stunde lesen können!“ Aber: „Ist denn das so unmöglich?“ dürfte irgendwann der Verleger Peter Bondy gestutzt haben, und er begann, seinen Scharfsinn an dieser schier unlösbaren Aufgabe zu erproben. „Wie nun, wenn man die Bücher von Profis mal eben durchlesen, zusammenfassen und überhaupt systematisch aufbereiten ließe?“ muß es dazu wohl aus seinem Kompagnon Klepzig herausgebrochen sein, der selbst vielleicht am meisten erstaunt war von diesem Geistesblitz. Und zusammen werden die beiden dann davon geträumt haben, monatlich die Auswertungen von jeweils fünf Bestsellern an Leute zu verkaufen, die „unheimlich viel zu tun haben“ (Bondy). Daß sich der Erdboden nicht an Ort und Stelle auftat, sie zu verschlingen, müssen die zwei Komparsen als göttliche Bestätigung ihres groben Planes genommen haben. Resultat ist die ungefähr 20 Seiten starke Broschüre Bestseller aktuell mit dem Untertitel Was drinsteht und sonst noch interessiert; Jahresabonnement 190,- Mark. Und so ist ab sofort ein großes systematisches Geraune über die aufbereiteten Bestseller auch unter den Vielbeschäftigten im Lande denkbar: Die einen vermöchten zu bemerken, daß im „Papst-Buch“ der Papst recht lebhaft seine persönlichen Glaubensvorstellungen offenbare und daß die Schreibe dabei streckenweise pastoral, stellenweise jedoch auch spontan, sogar leidenschaftlich sei. Andere wüßten um die Stories in Rosamunde Pilchers neuestem Schinken: Liebeskummer und Liebesglück – Toby, 8, erlebt am selben Tag Tod, Geburt und wie zwei sich finden. – Laura, 52, erinnert sich, wie sie ihr Rassenvorurteil loswurde. Dritte könnten sogar ergänzen, daß das Edelschaf Daysi im Buch Zwillinge bekommt. Verträgt sich nicht außerdem Tobys große Schwester Vicky, 19, nach Daisys Lammen wieder mit Swacombes Enkel Tom? Doch, doch. Vielleicht werden sie heiraten.

Und bevor auch nur der Schatten eines Zweifels an ihrer literarischen Beschlagenheit aufkäme, wüßten noch die Letzten, sorgsam memorierte Beispiel-Zitate aus Barbara Bushs Autobiographie beizusteuern: (Auf einer Rheinfahrt mit Bundeskanzler und Frau.) Ich saß neben Helmut Kohl. Und da geschah es, daß Helmut den Tag zu meinem Tag machte. Er sagte: „Wie großartig, einer Dame mit einem lustvollen Appetit zu begegnen.“ Ach, warum sagt George Bush nie etwas so Romantisches? Tjaha, so werden sie sein, die Gespräche unter den Bestseller aktuell-Abonnenten.

(Kursiv: Zitate aus „Bestseller aktuell“)

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