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Der Fisch stinkt vom Kopf her

■ Polizeiskandal: Die Chefs wußten alles – und schwiegen / Der Senator wurde hintergangen / Ermittlungen gegen 80 Beamte eingeleitet Von Sven-Michael Veit

Die Chefs antworteten nicht. Hamburgs Landespolizeidirektor Heinz Krappen und Wolfgang Sielaff, Leiter des Landeskriminalamtes, sind seit einem dreiviertel Jahr über Straftaten Hamburger Polizeibeamter gegen Ausländer informiert – und schwiegen. Das behauptet das ARD-Magazin Panorama in einem gestern abend ausgestrahlten Beitrag über den Hamburger Polizeiskandal.

Die ihnen vorliegenden Aktenvermerke mit Zeugenaussagen von mehreren Polizeibeamten haben Sielaff und Krappen, so Panorama, weder an die Polizeiabteilung für Beamtendelikte „Ps3“ noch an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Auch die Spitze der Innenbehörde, der damalige Staatsrat Dirk Reimers und der im September 1994 zurückgetretene Innensenator Werner Hackmann, seien nicht informiert worden.

Die neuen Recherchen von Panorama bestätigen Informationen, die am 21. September vorigen Jahres von der taz hamburg veröffentlich wurden. Danach hatte der Leiter der Hamburger Landespolizeischule, Manfred Bienert, im April 1994 der Polizeiführung einen detaillierten „Vertraulichen Vermerk“ auf den Tisch gelegt. Darin enthalten waren zahlreiche Aussagen von Beamten, die über „Beleidigungen, Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen im Amt“ berichtet hatten, vor allem gegen „Personen mit geringer Beschwerdemacht (z.B. Asylbewerber)“. Sielaff und Krappen beauftragten damals Bienert, einen „Maßnahmenkatalog zur Klimaverbesserung“ zu erarbeiten.

Der damalige Innensenator Werner Hackmann wurde, wie sein Pressesprecher Kelch damals gegenüber der taz hamburg bestätigte, darüber nicht informiert. Staatsrat Dirk Reimers hatte in einer Sitzung des Innenausschusses der Hamburger Bürgerschaft am 15. September lediglich erklärt, von „Äußerungen“ in dieser Richtung aus der Polizeischule gehört zu haben.

Nach Ansicht des renommierten Kieler Strafrechtlers Prof. Erich Samson besteht deshalb bei Krappen und Sielaff ein „hinreichender Tatverdacht auf Strafvereitelung im Amt“. Gegenüber Panorama erklärte Samson zudem, noch „wichtiger ist der Umstand, daß die Polizeiführung ja selbst davon ausging, daß diese Straftaten weiterlaufen würden. Und dafür gilt, daß ein Vorgesetzter, der Derartiges geschehen läßt, genauso bestraft wird, als hätte er diesen Taten selbst begangen“.

Unter den Polizisten, die sich vertraulich an Bienert gewandt hatten, ist auch der Beamte R. (Name geändert, d. Red.), der nach Informationen von Panorama als Kronzeuge vor der Staatsanwaltschaft über Mißhandlungen, Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen durch Beamte der Revierwache 11 an der Kirchenallee in St. Georg ausgesagt hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb inzwischen gegen 80 „namentlich bekannte Beamte“ in mehr als 130 Fällen (Siehe weiteren Bericht auf S. 5).

Krappen und Sielaff wollten gestern wegen bevorstehender Aussagen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß der Bürgerschaft keine Stellungnahme abgeben. Innensenator Hartmuth Wrocklage erklärte lakonisch, die „laufenden Ermittlungen müßten mit Nachdruck vorangetrieben werden“. Zur „rückhaltlosen Aufklärung gibt es keine Alternative“.

Wo der Mann recht hat, da hat er recht.

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