: Grüne Elastizität -betr.: W.Rufflers Ampelbilanz, taz vom 25.2.95
Betr.: W. Rufflers Ampelbilanz, taz vom 25.2.95
Lieber Walter, Du hast recht: Die Grünen haben in der Ampel-Regierung kleine und große Kröten geschluckt und das, obwohl sie Umweltpartei sind. Ihre Senatoren, weit davon entfernt, „Partisanen in der Regierung zu sein“ (Ralf Fücks vor einigen Jahren), haben gelernt Kompromisse zu schließen und lange Wege zu gehen, um kleine Fortschritte zu erreichen. Sie haben die Tücken der Institutionen kennengelernt und sich einige Male kräftig die Finger verbrannt. War also, und das impliziert Dein Sündefallregister, die grüne Regierungsbeteiligung die ganze Zeit nur die ökologische Begleitmusik zur wirtschaftsliberalen Betonpolitik?
Warum aber, und darauf bleibst Du beim Erbsen-Zusammenzählen die Antwort schuldig, schickt sich dann ein schwarz-gelb-graues Bündnis an, die Grünen mit aller Macht aus der Verantwortung zu drängen, wo doch, Deiner Logik zufolge, sie dort sowieso nichts bewegen? In einer Situation, in der die Grünen und ihre Themen immer mehr von der Peripherie ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung rücken, willst Du wieder den geordneten Rückzug in die Peripherie antreten. Nein, die grünen WählerInnen – und das hat Hessen eindrucksvoll bewiesen – erwarten von den Grünen keine Wunder, sondern Mitgestaltungsbereitschaft und Elastizität. „Elastizität“ bedeutet laut Brockhaus nicht nur Nachgiebigkeit, sondern auch Dehnbarkeit. Sie ist eine wertvolle Eigenschaft vieler (physikalischer) Körper. Bei äußerer Gewalteinwirkung geben sie nach, bei günstigen Bedingungen dehnen sie sich aus oder schnellen wie ein Gummiband nach vorn. Strategische Reformen erfordern geradezu Elastizität, denn sie entspricht der Komplexität unserer Gesellschaft.
Die Grünen sind längst aus ihrem embryonalen Entwicklungsstadium herausgetreten: Sie sind weder grüne Programmpartei pur noch reines Korrektiv, sondern „grün“ ist zu Recht für viele Menschen zur Farbe der Hoffnung geworden: Die Hoffnung auf eine gesellschaftliche und kulturelle Modernisierung, die die Autonomie- und Partizipationsbedürfnisse der Gesellschaft ernstnimmt und zugleich sensibel mit Traditionen und Werten umgeht; der Hoffnung auf intelligente wirtschaftliche Innovationen, die den Umstrukturierungsprozeß zur ökologischen Marktwirtschaft vorantreiben und gleichzeitig Natur gegenüber den Anmaßungen der reinen Wirtschaftslobby schützen. Der vereinte Angriff der Bremer Negativkoalition auf die Grünen ist der letzte verzweifelte Versuch, den Grünen diesen Platz streitig zu machen. Warum sollten wir ihnen diesen Gefallen tun?
Lothar Probst
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