Eine geht, die andere kommt

Während für Hochspringerin Alina Astafei der Hallenhöhepunkt WM naht, hört Stabhochspringerin Nicole Rieger auf und fängt wieder an  ■ Aus Berlin Peter Unfried

So ist das: Während die eine gehen muß, fangen die anderen erst richtig an. Am Wochenende zieht es Leichtathleten gen Barcelona zur Hallen-WM, und Nicole Rieger (23) sitzt zu Hause im Dörflein Godramstein, eine Handvoll Kilometer nordwestlich von Landau, und schaut zu. Stabhochsprung, Frauen, ist ein Wettbewerb, der, von Olympia nicht zu reden, international noch nicht existiert. Weshalb die Pfälzerin ihre Stäbe packen muß, bevor die Hallensaison ihr Ziel erreicht hat. Frust? Naja, sagt Nicole Rieger, „ich mach's in erster Linie, weil's mir Spaß macht“. Wobei zu argumentieren ist: Spaß macht's in erster Linie auch, weil die Frau so erfolgreich ist. Die Disziplin ist jung, und Rieger, die anderes versucht hatte und 1991 „spaßmäßig“ angefangen hat, ist eine ihrer ersten Protagonistinnen. 4,08m ist sie letztes Jahr in Karlsruhe gesprungen, das war Weltrekord und bis vor fünf Tagen noch Europarekord.

Inzwischen ist die zwei Jahre jüngere Chinesin Sun Caiyun um einiges höher gekommen (4,15m), nun auch die Tschechin Bartova (4,10m), 1992 noch als rhythmische Sportgymnastin bei Olympia. Freitag beim Berliner OSC-Springermeeting in der Schöneberger Halle hat die Russin Marina Andrejewa locker die 4,00m überquert, während Rieger sich mit Mühe über 3,90m hieven konnte. „Es wird eng“, ist Nicole Rieger da aufgefallen, international, doch auch „im eigenen Lande“, wo auch schon zwei, drei Frauen nachdrängen, und es vergangene Woche bei den Hallenmeisterschaften nur zu Rang drei reichte. Im nächsten Jahr soll frau zum ersten Mal an einer Hallen-EM teilnehmen dürfen, weiteres soll folgen. „Je schneller“, sagt Nicole Rieger, „desto besser.“ Allerdings bringt internationale Aufwertung eben auch verstärkte Bemühungen der Konkurrenz. Da muß frau, die vor vier Jahren schon 3,90m schaffte, was tun, um richtige Verbesserung zu ermöglichen und dabei den besten Lehrer nehmen, den sie kriegen kann: Sergei Bubka. Eine Woche Schnupperkurs hat Rieger jüngst absolviert: nicht viel und doch einiges. „Der Bubka“, hat sie da gemerkt, „hat ja in den Stabhochsprung eine Philosophie gebracht.“ Welche? Stabhochsprung als way of life, vor allem aber als Totalität. Der beste Stabhochspringer aller Zeiten, hat sie erleben können, sei „ein unheimlicher Perfektionist“. Ein harter Arbeiter, der „jede Übung hundertmal macht“ und öfter. Der Meister gab Tips, und „ich hab' versucht, sie umzusetzen“. Demnächst soll eine Fortsetzung der Arbeit erfolgen. Einiges ist zu tun: Die Weltrekordlerin „ist schneller im Anlauf“ (Rieger), Andrejewa athletischer und technisch besser, „kann härtere Stäbe springen“. Und also höher. Rieger kam in Berlin nicht recht hoch, wußte aber auch nicht zu sagen, „warum es nicht ging“.

Eine andere sprang ganz hoch, stellte mit 2,04m neue Weltjahresbestleistung im Hochsprung auf und wußte auch nicht recht, warum. „Damit habe ich nicht gerechnet“, sagte Alina Astafei, nachdem sie eine Latte überquert hatte, die in der Halle höher nur noch bei Heike Henkel (2.07m) und Stefka Kostadinowa (2.06m) lag. Warum nicht? „In einer Woche“, sagt die freundliche Besitzerin eines brandneuen deutschen Passes, „ist WM.“ Da liegt Beton, und ist kein Schwingboden ausgelegt. Daher nimmt man das Startgeld mit, guckt man ein bisserl, was wie geht und macht „so wenig Sprünge wie möglich“. Kein Problem. Alle Höhen, bis auf die 2.01m, nahm Astafei in einem selten hochklassigen Wettbewerb im ersten Versuch. Die Norwegerin Haugland (1,96), die Russin Guljajewa, die Ukrainerin Babakova (je 1,99m), die noch nicht wieder hergestellte Weltmeisterin Quintero (1,93m) kann sie offenbar jederzeit überbieten. Bleiben wenige übrig. Heike Henkel? Die First Lady des Landes, der Disziplin, der Werbebranche? Sprang am Samstag in Sindelfingen 1.96m. Doch ob die Mutter (30) Ravns noch einmal richtig hochkommt? Kann der DLV entspannt beobachten. Alina Astafei, mit vierjähriger Tochter, aber fünf Jahre jünger, Olympiazweite 1992 für Rumänien, nun in Mainz ansässig, hat vom Athletenberuf einiges noch zu erwarten. Ruhm sowieso. Und Auskommen natürlich. Preisgeld nahm sie mit, doch keine 15.000 Dollar für einen Weltrekord. Den zu attackieren, unterließ Astafei weise: Sie investiert lieber in zukünftigen sportlichen Ruhm. Der auch irgendwann Rendite abwerfen kann. Noch trug die Frau beim Après-Talk entspannt oben und unten unterschiedliche Ausrüstermarken. Warum? Weil „ich keinen Vertrag habe“. Das wird sich ändern.

Schneller vermutlich, um elegant noch einmal zurückzuspringen, als bei Nicole Rieger. Die verließ die Halle, als Astafei grade mal mit dem Dehnen begonnen hatte. Und während letztere von immerhin 1.000 umjubelt und beklatscht wurde, saßen am Nachmittag gerade ein paar Hansel in der Halle. „Es ist halt Vorprogramm“, sagt realistisch Rieger. Soll sich ändern, hat Impresario Thiel versprochen. In Kürze wird auch die Entscheidung fallen, ob die Frauen demnächst auch bei einer WM mitmachen werden dürfen.

Davon wiederum wird auch abhängen, ob sie demnächst mit mehr als B-Kader-Tarif gefördert werden wird. Nun: Es hatte schon auch der Stabhochsprung „einen kleinen Etat“ (Veranstalter Thiel), und so durfte Nicole Rieger für ihren zweiten Platz stolze 400 Mark mit nach Hause nehmen. 25 Stunden pro Woche investiert die hauptberufliche Bankkauffrau in den Sport. Nachdem bis Ende Mai nun aber Wettkampfpause ist, hat sie quasi Urlaub. Nicht von der Bank. Vom Stab. Heute. Vielleicht auch noch am Dienstag. Dann beginnt die Vorbereitung auf die Freiluft-Saison. So ist das: Während die einen noch kein Ende gefunden haben, hat die andere längst wieder angefangen.