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Schockfarben – gestern und heute

■ „Count me in“ – ein Frauenfilmseminar im Arsenal

In allen Frauenzeitschriften kündigt sich derzeit das flächendeckende Siebziger-Jahre-Moderecycling für den kommenden Sommer an: „Schockfarben“ mit Haarspangen, bauchfrei und blondem Fransenpony. Also genau das Outfit, was Feministinnen vor 25 Jahren trugen, als sie für die ersten Kinderläden und für gleichberechtigte Bezahlung der Frauen kämpften, dabei nebenher noch versuchten, ihren masochistischen Kommilitonen das Spülen beizubringen. Aus jenen kämpferischen Jahren präsentierte an den vergangenen beiden Wochenenden die Berliner Frauengruppe „Übung am Phantom“ unter dem etwas apokryphen Titel „Count me in“ jeweils vier Stunden lang Filme und Diskussionen, am kommenden Wochenende wird u.a. mit „Born in Flames“ von Lizzie Borden der Sprung in die Gegenwart versucht.

„Wir haben monatelang unsere dekonstruktivistischen Feminismusdebatten betrieben. Davon hatten wir genug – wir wollen politischer werden!“ erklärt Stefanie Schulte-Strathaus, eine der Organisatorinnen. Das ist natürlich heute, wo einem die Fabrikarbeiterin von einst als Subjekt abhanden gekommen ist, sehr viel komplizierter. Trotz der schon beinahe rührenden Naivität politischer Rezepturen von damals hat es einen eigentümlich provozierenden Effekt, wenn man feministische Agit- Prop-Klassiker wie „Eine Prämie für Irene“ von Helke Sander oder „ ... es kommt drauf an, sie zu verändern“ von Claudia von Aleman im sorgfältig gepackten Paket und Zusammenhang sieht. Schließlich gibt es beim derzeitigen „male backlash“, der angefangen bei ausgefuchster Lohndrückerei in den typischen Frauenberufen bis hin zur Gentechnologie überaus konkrete Formen annimmt, vielleicht mehr „feministischen Handlungsbedarf“ als vor zwanzig Jahren.

Doch Polit-Aktivismus ist bei vielen intellektuellen Frauen, ganz gleich, in welcher Berufssparte, derzeit nicht gerade angesagt: man amüsiert sich beim Erzählen von Blondinenwitzen, lästert ein wenig über die blonde Claudia Nolte und überläßt es den neuen Heldinnen von Hollywood, auf der Leinwand zur Knarre zu greifen. Da kann folgenlos rumgeballert werden – und hier beginnt das Dilemma, das die Frauen von „Übung am Phantom“ in ihrem Filmseminar zum Thema gemacht haben: Sie suchen nach den kleinen Ritzen, die sich benutzen lassen könnten, um die Rigorosität der „Kunstgrenzen“ zu durchlöchern, innerhalb derer ein Film immer nur ein Film sein darf und nichts mit anderen Wirklichkeiten zu tun hat. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, war das Programm mit historischen Frauenfilmen durchaus motivierend, vor allem der amerikanische Dokumentarspielfilm „Year of the women“ von Sandra Hochmann (USA 1972). Eine illustre Frauengruppe, zu der unter anderen die vollbusige Nachtclubtänzerin Liz Renay als „Vizekandidatin“ im engen, goldenen Pailettenkleid zählt, mischt den Parteitag der Demokraten von Miami Beach mit markigen Interviews und lustigen Störaktionen auf ... Es scheint für eine Standortbestimmung des feministischen Films in Deutschland ohnehin produktiver, sich mit den Genossinnen aus den USA zu unterhalten. Trotz persönlicher (!) Einladung an die Teilnehmerinnen des legendären Frauenfilmseminars im Arsenal-Kino 1973 glänzten die Damen durch Abwesenheit. Außer Erika Gregor war keine der Frauen gekommen, um sich mit den mittlerweile erwachsenen „Töchtern“ zu treffen, die zu genau der Generation gehören, auf die Helke Sander in ihrem Film „Brecht die Macht der Manipulateure“ (1967/68) „alle Energie“ richten wollte. Um so mehr darf man sich auf Jennie Livingston freuen, die am Sonntag ihre Teilnahme am Seminar zugesagt hat. Um 11 Uhr läuft ihr Film „Paris is burning“ von 1990, eine Dokumentation über die besondere Art von „Rollenspiel“ in den schwulen Clubs von Harlem. „Vogueing“ heißt dieser Showdance, bei dem es um die möglichst naturalistische Darstellung von beispielsweise Sekretärinnen, Schlägertypen oder auch Burschenschaftsmitgliedern geht – also ein Wettbewerb um die Beweglichkeit in einem sozialen Paralleluniversum. Die Heimat für die Feministin von morgen? Dorothee Wenner

„Count me in“, Sa. & So, 11 und 15 Uhr im Arsenal, Welserstraße 24.

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