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■ Aufregung um ein Polizeifoto von 1948Makabres Poesiealbum

Amsterdam (taz) – Das Foto ist schön, aber umstritten. Zu sehen ist Charlotte, eine 24jährige Frau, nachdem sie 1948 in ihrem Bett erwürgt worden ist. Der Täter, damals ein 27jähriger Büroangestellter und Vater von zwei Kindern, wurde 1949 zu einer Gefängnisstrafe von sechs Jahren verurteilt, lebt noch und ist heute 75 Jahre alt. Die ermordete Frau hatte zuvor als Prostituierte gearbeitet, der Täter war ihr Freier. Das Foto gehört zu einem Bildband, für den die Rotterdamer Polizei ihr Fotoarchiv öffnete: „Moord in Rotterdam“.

Ein Polizeifotograf hatte die Tote 1948 routinemäßig fotografiert, nicht ahnend, daß das Foto im Jahre 1995 Gegenstand eines juristischen Streits werden könnte. Kürzlich druckte es eine Rotterdamer Regionalzeitung ab – und Hans Rouss (66), der Bruder der Ermordeten, sowie die 49jährige Tochter protestierten daraufhin erbost. Niemand hatte sie gefragt.

Das Foto gehört zu einer Sammlung des Rotterdamer Polizeiarchivs, die unter dem obigen Titel in Buchform erscheint und ausgestellt wird. Die ersten 3.000 Bücher sind schon gedruckt worden, aber die Familie der Ermordeten fordert, daß das Foto der getöteten Angehörigen entfernt wird. Dummerweise ist es aber auf dem Umschlag des Bandes abgebildet. Weil das Buch nach richterlicher Entscheidung nur ohne dieses Foto erscheinen kann, suchen die Herausgeber nun nach einer Lösung.

Der Polizei ist die Affäre besonders peinlich. 14 Monate hatte man akribisch nach Angehörigen der Toten gesucht, um deren Zustimmung zur Veröffentlichung der Fotos zu bekommen. Ein Polizeisprecher: „Nur dieses eine Foto ist uns irgendwie durchgerutscht, das ist sehr bedauernswert.“

Coen Van Maaslo, ein pensionierter Polizist, wurde extra mit der Recherche nach den Angehörigen beauftragt, 59mal glückte ihm das, sechsmal nicht. Die sechs Familien wähnte er verzogen – nur in diesem einen Fall stimmte das eben nicht.

Die Sammlung mit den Polizeibildern wäre vor sechs Jahren beinahe in die Mülltonne gewandert, als das Hauptbüro der Polizei umgebaut wurde. Wil Pubben, Hauptmitarbeiter der Abteilung Technische Recherche und Fotograf, entdeckte die etwa 4.000 Fotos und beschloß, sie umgehend in Buchform zu veröffentlichen. Es handelt sich um Aufnahmen aus den Jahren 1905 bis 1967. Die 65 seiner Meinung nach „schönsten“ wählte Pubben aus.

Die Herausgeber suchen nun fieberhaft nach einer Lösung. Sollte das Verbot aufrechterhalten bleiben, dann wollen sie eventuell das Gesicht der getöteten Charlotte unkenntlich machen. Allerdings wird das nicht mehr viel nützen, ist es doch mittlerweile in einigen Zeitungen veröffentlicht worden. Das umstrittene Foto wurde vorsorglich aus der Ausstellung von Leichenfotos, die Rotterdams Polizeichef Hessing im Polizeihauptbüro in der Witte de Withstraat eröffnete, entfernt. Falk Madeja

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