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Funkstille über dem Nordatlantik

Als Reaktion auf die Beschlagnahme des spanischen Fischkutters „Estai“ bricht die EU alle formellen Kontakte zu Kanada ab / Spanien erwägt Entsendung eines Kriegschiffes  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Die Europäische Union hat gestern alle formellen Kontakte zu Kanada vorerst abgebrochen. Spanien erwägt die Entsendung einer Fregatte in den Nordatlantik, um seine Fangschiffe vor „kanadischen Übergriffen“ zu schützen. Damit reagierten Spanien und die ständigen Vertreter der EU in Brüssel auf die Beschlagnahmung des Fischereischiffes „Estai“ und die Festnahme der Besatzung in internationalen Gewässern vor Neufundland. Die „Estai“, die am vergangenen Donnerstag durch die kanadische Marine unter Einsatz von Schußwaffen aufgebracht worden war, erreichte am Sonntag den Hafen von St. John's, wo sie von rund 10.000 Demonstranten empfangen wurde. Der EU-Vertreter in Kanada, John Beck, war zusammen mit den deutschen, französischen und spanischen Botschaftern bei dem Spektakel anwesend, um die „Estai“-Mannschaft moralisch zu unterstützen.

Kapitän Enrique Davila wird sich vor Gericht wegen Fanges geschützter Arten, Widerstands gegen die Staatsgewalt, der Behinderung der Aktionen der kanadischen Patrouille und der Vernichtung von Beweismitteln verantworten müssen; die Besatzung der „Estai“ hatte auf ihrem gescheiterten Fluchtversuch sämtliche Netze gekappt. Davila befindet sich im Augenblick gegen eine Kaution von umgerechnet 9.000 Mark auf freiem Fuß. Für die „Estai“ werden 5,5 Millionen Mark Kaution verlangt, so die Fischereikooperative im nordspanischen Vigo.

Für Spaniens Außenminister Javier Solana ist das Vorgehen der Kanadier „ein klarer Verstoß gegen internationales Recht“. Spanien erwägt, vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu ziehen. Brüssel unterstützt die Position Solanas. EU-Fischereikommisarin Emma Bonino forderte vor der EU-Kommission „die sofortige und bedingungslose Herausgabe des galizischen Trawlers“.

Sollte es nicht zu einer gütlichen Einigung zwischen Spanien und Kanada kommen, wird eine 15 Punkte umfassenden Liste von Sanktionen in Erwägung gezogen. Der Katalog, der gestern auch dem Treffen der ständigen Vertreter der 15 EU-Mitgliedsländer vorgelegt wurde, reicht von der Anhebung der Zölle bis zur vollständigen Schließung der EU-Grenzen für kanadische Produkte.

Die galizischen Fischer und ihre portugiesischen Kollegen sind empört. Die aktuelle Auseinandersetzung ist für sie der Höhepunkt eines Konfliktes, der seit 1977 gärt. Damals weitete Kanada die Hoheitsgewässer auf 200 Seemeilen aus. Die Fischer von der iberischen Halbinsel mußten zwangsläufig auf Fischarten außerhalb der Hoheitsgewässer ausweichen. Man entdeckte den Steinbutt, ein Fisch, der nur in Japan konsumiert wird. 1.200 Fischern auf 36 spanischen und 11 portugiesischen Trawlern bietet der Steinbutt-Fang Arbeit. Hinzu kommen 7.500 Arbeitsplätze in der weiterverarbeitenden Industrie. Die 40.000 Jahrestonnen Steinbutt, die die beiden Länder in der Vergangenheit fischten, brachten einen Jahresumsatz von zwei Milliarden Mark.

Der Konflikt brach aus, als die Nordatlantische Fischereiorganisation (NAFO) 1995 die Fangquote der Europäischen Union auf 3.400 Tonnen gegenüber 16.200 Tonnen für Kanada zusammenstrich. Die EU in Brüssel besteht aber auf 18.630 Tonnen.

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