Sanssouci: Vorschlag
■ „Mädchenprotokolle“ in der Friedrichshainer Galerie Stufe 85
Isabel hat sich leicht zurückgelehnt und zielt mit einem pistolenähnlichen Gegenstand auf die BetrachterInnen. Das Foto mit der lasziven, klischeebeladenen Pose gehört zu den „Mädchenprotokollen“: Mit Fotografien, Interviews und Video haben sich fünfundzwanzig Mädchen zwischen zwölf und neunzehn Jahren porträtiert und porträtieren lassen; eine Auswahl davon ist jetzt als Ausstellung zu sehen. Initiiert von SozialarbeiterInnen und Friedrichshainer Jugendklubs, ist das Projekt eine Mischung aus empirischer Kulturforschung und Selbstreflexion der Mädchen. Zwei von ihnen haben Gedichte zur Verfügung gestellt, in einem Gestell hängen Kopien von Kinderfotos und Spielzeug – zum Objekt geworden, demonstrieren sie das Ende der Kindheit. „Mädchenprotokolle“ ist eine selten schöne Studie der weiblichen Adoleszenz.
Die Ausstellung lebt von der Spannung zwischen Naivität und Pose. Die Fotografien wurden im Bewußtsein aufgenommen, daß sie ausgestellt werden könnten, und zeigen die Mädchen in einem Grenzbereich zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Immer wieder wird spürbar, wie der fremde Blick in den privaten Raum zugleich provoziert und begrenzt wird. Anonymisierung und Auswahl kontrollieren die Öffnung zum Publikum und bleiben gleichzeitig sichtbar: Im Video zur Ausstellung stellt sich eine Dreizehnjährige als „Anett“ vor. Sie berichtet, wie sie als kleines Kind vor Aufregung, aus einem Glas trinken zu dürfen, von diesem Glas einfach abgebissen hat – eine Erzählung, die sich in der Lesemappe in einem Interview mit „Sara“ wiederfindet.
Überhaupt spielt der Wechsel von Verstecken und Selbstdarstellung eine große Rolle. Die Fotos sind so angeordnet, daß jedes Mädchen mit ein oder zwei großen sowie mehreren kleinen Porträts Platz für eine eigene Mini-Ausstellung hat. Sofern es sich um Freundinnen handelt, verschränken sich diese Abschnitte jedoch zuweilen. Über den Bildern läuft ein Schriftband mit Zitaten aus den im Video dokumentierten Interviews. Aber nicht alles ist im Film wiedergegeben, und über den Fotos werden die Aussagen zu pick-ups, zur eigenständigen Form. Und die ist anonym, entstanden aus seriellen Interviews: Allen Mädchen sind ungefähr die gleichen Fragen gestellt worden – nach Kindheitserinnerungen, der Wende, nach Drogen, den Eltern, dem ersten Sex, dem Selbstbild, nach Wünschen. Da ähneln sich die Antworten, ein paar markante Sätze treten aus der Masse der Fetzen hervor, Individuelles verschwimmt. Spätestens hier hören die „Mädchenprotokolle“ auf, eine Studie zu sein. Welches Zitat stammt von wem? Die Frage ist müßig, die Suche nach der Antwort ein Spiel. Friederike Freier
Fotos: Galerie
Bis 30.3., Mo.–Fr. 10–17 Uhr, Galerie „Stufe 85“, Kadiner Straße 17, Friedrichshain (U-Bahn Rathaus Friedrichshain)
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