: Der Griff in den „Giftschrank“
Wohnungsleerstand hat viele Gesichter: Über die Mühen des Bezirksamts Prenzlauer Berg, die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen ■ Von Uwe Rada
„Wir kommen dann zum nächsten Gebäude.“ Matthias Klipp blättert in der Liste, die Runde blättert mit. „Ein Haus in der Kollwitzstraße“, liest der vom Bündnis Prenzlauer Berg nominierte Baustadtrat aus der Akte vor. „Die verbliebenen Mieter wollten kaufen, die Erben dagegen haben sich entschieden, an andere Interessenten zu verkaufen.“ Mehrere Wohnungen stehen in dem Altbau leer. Mehrere von über zweitausend Wohnungen allein im Prenzlauer Berg. Bei knapp der Hälfte davon, meint Klipp, seien weder Bauarbeiten im Gang noch eines der öffentlichen Förderprogramme vorgesehen. Grund genug für den Baustadtrat, zusammen mit dem Wohnungsamt, der Sanierungsverwaltung, dem Bau- und Wohnungsaufsichtsamt sowie dem Sanierungsträger S.T.E.R.N. über Maßnahmen gegen die Verantwortlichen zu beraten. Bei dem Gebäude in der Kollwitzstraße soll versucht werden, dem Eigentümer klar zu machen, daß ein verkaufswilliger Eigentümer keinen Freibrief für leerstehende Wohnungen hat. „Wir öffnen also den Giftschrank“, gibt Matthias Klipp die Parole aus. Der Giftschrank, das ist die Androhung von Zwangsgeld oder ein Instandsetzungsgebot durch das Bezirksamt.
Doch nicht nur private Eigentümer bereiten der Leerstandsrunde Kopfzerbrechen, sondern auch die Wohnungsbaugesellschaft WIP und deren Tochter Optima. Nachdem die Betroffenenvertretung am Helmholtzplatz in der vergangenen Woche darauf hingewiesen hat, daß die Angaben der Optima über die Instandsetzungskosten leerer Wohnungen in der Dunckerstraße offensichtlich aus der Luft gegriffen sind, ist der Baustadtrat hellhörig geworden. „Ohne eingehende Prüfung“, weist er seinen Wohnungsamtsleiter an, „werden künftig Leerstandsanträge der WIP oder Optima nicht mehr genehmigt.“
Seitdem in Berlin wieder mehr als 10.000 Wohnungen leer stehen, ist der Streit um die Verantwortung für Leerstand und Verfall entbrannt. Insbesondere die Wohnungsbaugesellschaften verstecken sich bei restitutionsbefangenen Grundstücken hinter möglichen Schadensersatzansprüchen künftiger Eigentümer. Die Folge: Reparaturen werden eingestellt, Mietermodernisierungen nicht mehr genehmigt oder leerstehende Wohnungen nicht instandgesetzt. Für Baustadtrat Matthias Klipp ein untragbarer Zustand. Immerhin sei die WIP laut Schreiben des Bausenators ausdrücklich von der Haftung für mögliche Regreßansprüche befreit. Bei der nächsten Aufsichtsratssitzung der WIP will Klipp deren restriktive Haltung zur Sprache bringen. Aber auch der für die Fachaufsicht der WIP zuständige Bausenator, fordert er, müsse endlich handeln und die Gesellschaft „zu anderen Verfahrensweisen zwingen“.
Begründen die Wohnungsbaugesellschaften ihr Nichtstun vornehmlich mit gebundenen Händen, treten private Eigentümer immer dreister auf. In einem zum Teil leerstehenden Gebäude in der Kolmarer Straße will die private Hausverwaltung Alscher dem Bezirksamt nicht einmal den Namen des Eigentümers nennen. Anstatt leere Wohnungen zu sanieren, beantragen andere Hausbesitzer oftmals eine Leerstandsgenehmigung. Die Begründung: Verkaufsverhandlungen oder die Einholung von Kostenvoranschlägen. Im Bezirksamt Prenzlauer Berg freilich ist man mißtrauisch geworden. Angesichts des Wohnungsnotstands im Bezirk scheint der Griff in den Giftschrank mittlerweile angemessener als eine Unterschrift unter eine Leerstandsgenehmigung.
Inzwischen haben Prenzelberger Initiativen zu einer Demo gegen den Leerstand am 1. April, 14 Uhr am Helmholtzplatz aufgerufen. Daß das Thema Leerstand auch weiter ein Dauerbrenner sein wird, dafür ist jedenfalls gesorgt. Erst im Jahr 2000, prognostiziert der Leiter des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (Larov), Hugo Holzinger, werden die letzten Eigentumsansprüche geklärt sein. Bis dahin wird es also weiter Fälle geben wie in einem Haus in der Fehrbelliner Straße, wo sich fünf Anspruchsteller um das Gebäude streiten, indes die Wohnungen weiter verfallen. Um unkonventionelle Vorschläge zur Beseitigung des Leerstands sind freilich nicht nur die Betroffenen bemüht, sondern auch der Herr über die Grundbücher: Warum nicht einmal Leerstandbeseitigung durch die Polizei, fragt Larov-Chef Hugo Holzinger? Rechtsgrundlage könnte das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) sein. Anstatt wie früher zur öffentlichen Gefahrenabwehr Besetzer aus leerstehenden Wohnungen zu räumen, könnten nun mit Hilfe der Ordnungshüter auch leerstehende Wohnungen besetzt, Verzeihung: belegt werden.
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