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Ein würdeloses Leben in Würde beenden?

■ In China soll möglicherweise die Euthanasie unheilbar Kranker erlaubt werden

Peking (taz) – In China ist eine Debatte über die Euthanasie losgebrochen, nachdem Delegierte auf dem Nationalen Volkskongreß in Peking ihre Legalisierung vorgeschlagen haben. Ein neuer Gesetzentwurf will die kontrollierte Euthanasie von Patienten ermöglichen, die auf notariell beglaubigten Dokumenten zusammen mit ihrer Familie ihre Einwilligung gegeben haben.

Die Diskussion entbrannte, nachdem ein Gericht in Hunan einen Mann namens Liu Shabo zu einer Gefängnisstrafe verurteilte, weil er seiner krebskranken Frau auf ihre Bitte pestizidverseuchten Tee zu trinken gegeben hatte, um ihren Tod herbeizuführen. Nach Meinung der Ehrenpräsidenten des Pekinger Kinderkrankenhauses, Hu Yamei, ist das Thema umstritten: „Euthanasie“, sagt sie, „wird vermutlich als Verrat an der Tradition betrachtet und kann von denen verurteilt werden, die ein schlechtes Leben einem schönen Tod vorziehen.“

Die Euthanasiedebatte findet in einer Zeit ohnehin kontroverser Maßnahmen zur Bevölkerungskontrolle statt. Seit Jahren wird China für seine „Ein-Kind-Politik“ kritisiert, die vielerorts zur Tötung weiblicher Neugeborener führt. Im Juni tritt ein vor zwei Jahren zuerst vorgeschlagenes „Gesetz zur Mütter- und Kinderpflege“ in Kraft, das die Sterilisation genetisch „abnormer“ Menschen und die Abtreibung unvollständiger Föten fördert.

China leidet unter einer rapiden Überalterung seiner Bevölkerung in einer Zeit rascher gesellschaftlicher Veränderungen, die unter anderem das Auseinanderfallen der Großfamilie begünstigen und die Pflege alter Menschen einem überforderten staatlichen Gesundheitswesen aufbürden. Heute sind mehr als 100 Millionen Menschen in China – neun Prozent der Bevölkerung – älter als 60; bis zum Jahr 2025 sollen es nach UNO-Schätzungen 289 Millionen Menschen sein, oder 19 Prozent der Gesamtbevölkerung. „Die Altenpflege wird China im nächsten Jahrhundert mit einem immensen Problem konfrontieren“, sagt ein westlicher Diplomat. „In Metropolen wie Schanghai tut sich die Regierung damit jetzt schon schwer. Sollte die Euthanasie eingeführt werden, könnten die Sorgen wachsen, da die Praxis mißbräuchlich ist“.

Dem neuen Gesetzentwurf zufolge, so die amtliche New China News Agency, soll die Euthanasie nur möglich sein für „Patienten, denen unheilbare Krankheiten diagnostiziert wurden“, und sie müsse durch „mindestens zwei Experten“ abgesegnet werden. „Technisch fortgeschrittene Krankenhäuser in Städten, wo die Bedingungen es zulassen, können auf legaler Basis Euthanasie an Patienten durchführen, um das Leiden der Patienten zu vermindern und die Menschenwürde zu wahren“, soll es weiter heißen.

Der Entwurf stößt, so die Agentur, auf positive Resonanz. Eine Großklinik in Peking soll bereit sein, den Service „auf Experimentierbasis“ anzubieten. Die Agentur zitiert freudige Briefe chinesischer Bürger, die freilich zweideutige Aussagen über die Würde des heutigen Lebens in China zulassen: „Wenn Euthanasie eingeführt wird“, schrieb so ein Pekinger, „werde ich einer der ersten sein, der sie beantragt.“ Sheila Tefft

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