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„Stumpfsinn, Stumpfsinn ist meine Lust“

■ Sieben Woyzecks bei der Büchner-Adaption der Ratten 07 in der Volksbühne

Manchmal ist man hemmungslos versucht, Hymnen zu schreiben. Die Preisungen setzen sich in den Gehirnwindungen nieder, um später aus den Fingern zu fließen. Solcherlei speichert das Hirn zum „Woyzeck“ im 3. Stock der Volksbühne: lebendige Poesie des Theaters, melancholische Bilder des Schwebens, ein inszenierter Gedankenstrich und geistreicher Kommentar zum Menschsein, frei von Schulmeisterei. Ein Genuß!

Inspiriert verläßt man die Aufführung der Ratten 07, doch spätestens in der U-Bahn erhebt sich die kritische Stimme. Bemerkenswerterweise richtet sie sich gegen die professionellen SchauspielerInnen des Ensembles: Das erotisierende Spiel von Marie (Sabine Vitua) hat neben einer frischen Losgelöstheit und wunderbaren Zaghaftigkeit auch große Gesten der Peinlichkeit. Und der Hauptmann (Gunther Seidler), poltert er nicht vorwiegend chargierend durch die Inszenierung, vom hysterischen Lachen abrupt zur Atemlosigkeit wechselnd?

Aber auch der brillant nervöse und überzeichnete Luc Feit als Doktor – sollte er nicht so manche hysterische Pose streichen, dem ausgestellten wissenschaftlichen Wahnsinn feinsinnig Grenzen setzen? Hier werden schauspielerische Eitelkeiten im Kontext des rauhen, aber integren Minimalspiels der Ratten 07 sofort entlarvt.

Letztlich zerfällt das Ensemble in der Regie von Roland Brus aber dann doch nicht in zwei Lager: das der obdachlosen SpielerInnen und der Professionellen. Brus spielt vielmehr spannungsreich mit ihrer Konfrontation und vor allem der doppelten Erotik des Stückes (zwischen Marie und Woyzeck) und der Aufführung. Er nutzt die Faszination, die die schöne Vitua, aber auch Anna Scheer als Käthe auf Charly, Hunni, JKD, Heinz Wienke, Monster, Thommes und Rolfi Fahrenkrog-Petersen ganz offensichtlich ausüben. So zärtlich ist bislang wohl keine Marie gestorben!

So entwickelt das Spiel eine zauberhafte Leichtigkeit, das seine eigentümliche Spannung dadurch erhält, daß sie jederzeit aus der Balance graten kann. Jürgen und ein paar andre stören beispielsweise offensichtlich halb eifersüchtig, halb unwillig, des Tambourmajors (Max Schlüpfer) wunderbare Szene, in der er versucht, mit einer Klobürsten-Jonglage und Späßen Maries Wohlwollen zu gewinnen. Er macht für sie pantomimisch den Wal, die Nähmaschine oder den Affen. Gut gebrüllt, Löwe!

Schlüpfer brilliert mit Komik, Eleganz und einem schauspielerischen Talent, das seine Kollegen ungeniert in den Schatten stellt. Die Zwischenrufe jedoch irritieren den Tambourmajor gleichermaßen wie die ZuschauerInnen, ein Moment, das anderswo im Theater heutzutage als peinlicher Kunstgriff empfunden wird. Hier jedoch ist die Irritation echt, die Unberechenbarkeit stets präsent.

Davon zehrt die Inszenierung, die sich konzeptionell auf die Verwandtschaft von Georg Büchners Figur „Woyzeck“ (der betrogenen und zu wissenschaftlichen Versuchen mißbrauchten Kreatur, dessen fragmentarisch überliefertes Drama er 1836 verfaßte) mit dem Obdachlosen-Ensemble stützt. „Bin ich ein Mensch?“ steht als Titel über der Inszenierung. Treffender wäre jedoch die Frage „Wird Woyzeck als Mensch behandelt?“

Denn eingeführt wird Woyzeck als Barbier seines Hauptmanns. Woyzeck: ein Spielball der Gesellschaft, ihrem Wohlwollen ausgeliefert. Für den Hauptmann ist Woyzeck ein dummer Mensch, aber kein schlechter. Allein: es fehlt ihm an „Zivilisation“. Tugend und Manieren hat er nicht. Woyzeck ist einer, über den gelacht, aber nicht weiter nachgedacht wird.

Ringsum hängen Tücher und Decken aus allen Ecken dieser Welt (Bühne: Bernd Schneider), manche sind löchrig, andere sehen sehr rauh aus. Zwischen diesen Wäscheleinen ist Woyzeck zu Hause, überall und nirgends – niemals aber bei den Reichen. Diesen Woyzeck kennen die „Ratten“ bestens: Müde hängen sie bei einem Bier in der Ecke, verloren stimmen sie das Lied vom Stumpfsinn an: „Stumpfsinn, Stumpfsinn ist meine Lust“. Woyzeck – ein Mensch?

Ja, aber was für einer. Siebenfach gleich geistert er über die Bühne, unberechenbar zu Improvisationen verführbar, schillernd voller skurriler Einfälle. Einer spielt den Eifersüchtigen, ein anderer wird von der irren Phantasie verführt, ein dritter spielt den Liebenden und den Mörder. Oft hat Marie zwei und mehr Woyzecks vor sich, der Doktor hat alle zu behandeln, sieben Barbiere scheren den Hauptmann.

Es ist die Schizophrenie der tragischen Figur, die Brus in den Mittelpunkt der Inszenierung stellt. Ein glücklich gelöster, aber auch naheliegender Ansatz. Die Titelfrage bedarf mithin einer kleinen Korrektur: „Bin ich 1 Mensch?“, um die Antwort leichtzumachen. Petra Brändle

„Woyzeck Bin Ich Ein Mensch? Ratten Bisse Büchner“, wieder heute sowie 19./20.3., 20 Uhr, Volksbühne, 3. Stock, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte.

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