: An die Moldau
■ Sechs Jahre nach Ende des Kalten Krieges zieht Radio Free Europe um. Seit dem Wochenende wird aus Prag gesendet
Mircea Vasiliu ist müde. Von den vergangenen drei Jahrzehnten erzählt der 120-Kilo-Mann, gähnt und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Seit 32 Jahren arbeitet Vasiliu, 54, beim rumänischen Dienst des legendären amerikanischen Senders Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) in München. Seit letztem Wochenende nun hat die einstige „Stimme der freien Welt“ begonnen, aus Prag zu senden, bis Juli soll der Umzug beendet sein. Vasiliu aber wird nicht dabeisein. „Was soll ich denn in Prag?“
Seit 1950 hat Radio Free Europe seine Nachrichten und Kommentare in die Länder des damaligen Ostblocks ausgestrahlt. Von Anfang an dabei: der amerikanische Geheimdienst CIA. Rund 30 Millionen Dollar jährlich investierte er zwischen 1949 und 1971. Die Genossen wiederum bauten Störsender gegen die imperialistische Propaganda. Diplomatische Verwicklungen waren die Folge, etwa Anfang der siebziger Jahre, als die polnische Regierung den Sender für die Aufstände verantwortlich machte; 1972 drohten die Ostblockländer gar mit Boykott, weil die Olympischen Spiele in der RFE-Stadt München stattfinden sollten.
Drastisch gekürzte US-Mittel
Auch die Amerikaner ließen sich nicht lumpen: Agenten der Ost- Geheimdienste seien in dem Gebäudekomplex am Englischen Garten ein und aus gegangen – immerhin 45 Prozent der RFE-Beschäftigten waren 1971 Emigranten aus den Ostblockländern.
Mircea Vasiliu ist müde. Über die Hälfte seines Lebens hat er in den Sender investiert. Aus und vorbei. Weil RFE seit dem Ende der sozialistischen Regime der Daseinszweck fehlt, hat der US-Kongreß seinem einstigen Hätschelkind die Mittel drastisch gekürzt. Von jährlich 208 Millionen auf gut 75 Millionen Dollar. Von einst weltweit 1.600 Angestellten arbeiten noch 1.000, in Prag werden nur noch 400 dabeisein.
Und was sollen die da? „Democracy in action – das ist unsere neue Aufgabe.“ Matthew Frost aus England, 39, ist stellvertretender Direktor von Radio Liberty, dem russischen Dienst bei RFE/RL. Gerade für die Republiken in der ehemaligen Sowjetunion sei das wichtig; der Sender könne zur Krisenbewältigung beitragen und durch den Äther Toleranz und Verständnis unter den verschiedenen Völkern der Region fördern. „Democracy in action“ – für Frost ist Schluß mit der Stimmungsmache aus den Zeiten des Kalten Krieges. Solide journalistische Arbeit will er abliefern, Service-Sendungen.
Rußland liefert die Frequenzen
Der Brite schiebt sich die Krawatte zurecht. „Vielleicht sind unsere Journalisten besser und haben mehr Erfahrung“, mutmaßt er. Zwar habe Radio Liberty inzwischen Konkurrenz von den russischen Privaten bekommen. Aber immerhin: Seit dem vergangenen September ist der Sender nicht nur auf Kurzwelle zu hören, die Russen haben sogar Mittelwellenfrequenzen frei gemacht. In über 80 Prozent des europäischen Rußlands sei Radio Liberty damit zu empfangen, mit der privaten Konkurrenz komme man gut zurecht: „In Petersburg haben sie sogar zwei Stunden Programm von uns übernommen.“
Brückenschlagen nach dem Kalten Krieg
Neue Aufgaben sieht auch Kevin Klose, 54, derzeit Präsident von RFE: „Radio Liberty ist so wichtig wie früher“, sagt er, „wir müssen helfen, den Wandel durchzustehen.“ Das Ende des Kalten Krieges habe keine Garantie für Frieden und Sicherheit in den Ost-Ländern mit sich gebracht: „Der Bürgerkrieg in Jugoslawien, die ethnischen Tumulte in verschiedenen Teilen der alten Sowjetunion sollten uns eine Warnung sein.“ RFE sei längst keine Waffe des Kalten Krieges mehr, Brücken wolle man schlagen und nicht die „Oberaufsicht in der Radiolandschaft übernehmen“.
Von „Symbolik“ spricht Klose, wenn es um den Umzug nach Prag geht. RFE habe immer für die Partnerschaft zwischen Amerika und den Menschen in den Sendegebieten gestanden.
Mircea Vasiliu wird in München bleiben. Ein Katzen-Poster hängt an der Tür seines Büros, Bänder mit Sendebeiträgen stapeln sich auf seinem Tisch. Während er die Bänder, eines nach dem anderen, abhört, murmelt er: „Das lohnt sich sowieso nicht mehr“, murmelt er. Weniger als zehn Prozent der Rumänen lauschten heute seinen Sendungen. Früher, ja früher, sei das anders gewesen: „Da hat der Rumäne nach dem Aufstehen RFE eingeschaltet – dann erst hat er seine Frau geküßt.“ Kai Horstmeier
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