: Debatte über Japans Kriegsschuld
■ Abgeordnete wollen Eingeständniserklärung verhindern
Tokio (taz) – „Japan hat in Asien tatsächlich Invasionskriege geführt“, erklärte Premierminister Tomiichi Murayama gestern im Tokioter Parlament, während vor dem Gebäude die Opfer japanischer Kriegstaten aus Südkorea und den Philippinen demonstrierten. Beistand hatte dem Regierungschef bis dahin nur der Außenminister und Vorsitzende der Liberaldemokraten, Yohei Kono, geleistet: „Da bin ich ganz anderer Meinung“, antwortete Kono mit seltener Deutlichkeit auf die Äußerungen der jungen Abgeordneten Sanae Takaichi, 34, die zuvor jede Reue und Selbstkritik hinsichtlich der Kriegsereignisse abgelehnt hatte. Tatsächlich gilt es innerhalb der strengen demokratischen Umgangsformen in Japan schon als außergewöhnlich, wenn ein Minister im direkten Austausch betont, er sei anderer Auffassung als ein Parlamentarier. Murayama und Kono aber hatten allen Grund, böse zu werden: 202 Parlamentsmitglieder der Liberaldemokraten und 37 der oppositionellen Neuen Fortschrittspartei hatten sich bis zum Donnerstag einer Abgeordnetengruppe angeschlossen, die eine geplante Kriegsschulderklärung des Parlaments im 50. Gedenkjahr der japanischen Kapitulation mit aller Macht verhindern will.
Tatsächlich war für die Revisionisten eine Parlamentsmehrheit in greifbare Nähe gerückt. Für die wacklige Regierungskoalition, die bislang vom konservativen Flügel der Sozialdemokraten unter Murayama und dem liberalen Flügel der Liberaldemokraten unter Kono getragen wird, geht es nun ums Eingemachte: Die Kriegsschulderklärung steht als einer von nur drei Programmpunkten im Koalitionsvertrag vom Sommer 1994. Wer sie kippen will, will offenbar auch die Regierung stürzen. Dabei könnten sich die außenpolitischen Folgen einer verhinderten Kriegsschulderklärung schnell als weit gravierender erweisen.
Seit der ehemalige Premierminister Morihiro Hosokawa sich im August 1993 als erster japanischer Regierungschef für „Aggressionskrieg und Kolonialherrschaft“ bei den Kriegsgegnern von damals entschuldigt hatte, galten Japans verbliebene Revisionisten als Hinterbänkler.
Die Erstarkung der Kriegsschuldleugner kommt vor dem Hintergrund des seit Monaten in der japanischen und amerikanischen Öffentlichkeit geführten Streits über Sinn und Unsinn der Atombombenabwürfe über Japan und des Angriffs auf Pearl Harbor. Murayama und US-Präsident Clinton hatten es bei ihrem Gipfel im Januar versäumt, über das gemeinsame Gedenken an die beiden wichtigsten Ereignisse des Pazifikkrieges Übereinstimmung zu erzielen. Georg Blume
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen