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Instinktiv zu Anna

■ Die 5. "femme totale", ein Filmfest mit Hang zum Subtext, ab heute in Dortmund

Zu den wichtigsten Strategien dessen, was man in den siebziger Jahren Subversion nannte, gehörte es, beileibe nicht selbst neues Material herzustellen, sondern lediglich das Vorhandene im eigenen Sinne umzudeuten. Im Maulwurfsgang durch die Filmgeschichte will die heute beginnende femme totale, das 5. Dortmunder Frauenfilmfest, zutage fördern, was schon da ist: „Anna und Edith“ zum Beispiel aus dem Jahr 1975 stellt eine wirklich liebreizende Kreuzung aus dem damals üblichen Genre des „Arbeiterfilms“ mit dem nicht soooo wahnsinnig geliebten und praktisch inexistenten Genre des Lesbenfilms dar. Nachdem Edith, eine nette, adrette Büroangestellte, sich mit ihrem Mann verkracht hat, („du ich möchte jetzt einfach kein Kind, versteh doch“) läuft sie instinktiv zu Anna in die Kneipe, die auf dem Klavier den Männern etwas von Bergen vorsingt, die sich eines Tages bewegen werden. Und so kommt es dann auch: hast du nicht gesehen, organisieren Anna und Edith nicht nur mit den Kolleginnen eine Art Bummelstreik, sondern liegen sich obendrein im Park vorsichtig in den Armen. Es heißt, der produzierenden Fernsehanstalt sei die Chose aus dem Ruder gelaufen; man kann sich auch genau vorstellen, an welcher Stelle: als nämlich das Lesbensein zu wenig Trotzreaktion und zu viel klitoralen Enthusiasmus entwickelte.

Als thematisches und nicht preisvergebendes Festival kann die femme totale natürlich auch in aller Ruhe Material sichten, das auf anderen Festivals eben nicht im Zusammenhang gesehen werden kann. Das gilt beispielsweise für die zwei Filme über die indische Banditin Phoolan Devi – die zwischen 1979 und 1983 in einem staubigen Tal des Staates Uttar Pradesh mit einer Schar von Anhängern herumzog – ein Dokumentarfilm, in dem sie auch selbst zu Wort kommt, und eben „Bandit Queen“, ein Spielfilm. Die Zahl der Fallstricke, in denen sich diese Unterfangen verheddern könnten, ist exorbitant: rachsüchtige Megäre den einen, den andern ein Robin Hood; Heldin der Dritten Welt, Gangsterbraut, Göttin Kali, exotische Feministin. „Bandit Queen“ windet sich – zum größten Teil erfolgreich – aus diesem Dschungel, indem er hartnäckig eine Channel-Four-Perspektive behauptet: Die Geschichte gehört plausibel gemacht, nicht überhöht. Phoolan ist zunächst mal eine nicht unbedingt süße Göre, die im Wasser planscht, als sie gerufen wird: ihr Vater hat sie für ein altes Fahrrad und noch irgend etwas, das ich jetzt nicht erinnere, an einen Kerl verkauft, der wahrscheinlich nicht einmal besonders grob ist. Im Gegensatz zum landesüblichen Brauch besteht er allerdings darauf, die Elfjährige gleich mitzunehmen und nicht ihre „Geschlechtsreife“ abzuwarten, die ihr auf dem nun folgenden Weg fast für immer verbaut worden wäre.

Ihr Vater ist ein Mallah, ein Fährmann, der zur Zeit des großen Brückenbaus seine Arbeit verloren hat; solche wie er wurden Tagelöhner bei den Thakurs, den Grundbesitzern – das ganze alte Latein fällt einem wieder ein, nur wird es hier gleich auch in sexuelles Machtgefälle übersetzt. Der Film bringt soviel Staub, Schweiß und Tränen, wie ein Film das eben kann. Phoolan läuft weg, nach Haus, wo man sie nicht will, sie schließt sich Banditen an, und was dann folgt, sieht zwar filmisch manchmal ein bißchen nach Karl May aus, aber es erzählt das Grausamste. Tagelange Vergewaltigungen von Polizisten, Soldaten, Bauern, Grundbesitzern und ihren Schakalen, die sie irgendwann nach solchen tagelangen Folterungen zwingen, nackt Wasser vom Brunnen zu holen. Natürlich wird der eine Mann, mit dem sie etwas anderes erlebt, von den Thakurs erschossen.

1983 hat sie kapituliert und in einer großen Zeremonie der Regierung ihre Waffen übergeben – längst eine Volksheldin. 1994 wurde sie gegen Kaution aus dem Gefängnis freigelassen. Der Film basiert auf Angaben, die sie gegenüber einer Journalistin in der Haft gemacht hat; dennoch hält Devi den Film von Shekar Kapur für Kitsch. Er hingegen behauptet, er habe mit ihr zu reden versucht, sei aber nicht durch ihre Middle-class- Bodyguards gedrungen. Phoolan Devi hat gedroht, sich zu verbrennen, wenn er gezeigt würde – schrilles Echo der Gewalt.

Bei der Programmauswahl der femme totale hat man insgesamt den erfreulichen Eindruck, daß die im Hintergrund wirkende feministische Filmtheorie ein wenig aus der Starre gefunden hat, in der sie ihr ganz eigener Lacanismus zurückgelassen hatte. Die Betrachterin erhält ein Stück Autonomie zurück; Phallus hin, Phallus her, wo und wie man lebt, wird wieder interessant.

Die femme totale hat Pratibar Parmar, eine in Kenia geborene Engländerin, mit ihrem Film über Saris, Shu Lea Cheang aus den USA, Helen Lee aus Kanada zu „Race and Cultural Identity“ geladen. Weitere, hier leider nur knapp zu umreißende Reihen sind Kostüm- und Setdesign, Filme aus Lateinamerika, Kultfiguren der Leinwand (keineswegs versäumen: ein Porträt von Sandra Bernhardt, einer hochexplosiven amerikanischen Performerin mit weißer Negerlippe). Es geht aber auch um die Produktion: Ein Workshop Filmmusik wird ergänzt durch das Symposium „Außer Spesen nichts gewesen“, bei dem Leute aus Filmförderung, Produktion und Wissenschaft debattieren, auch hier wieder internationale Perspektiven. Mariam Niroumand

„Bandit Queen“ läuft ab morgen auch in verschiedenen anderen Städten im Kino an

„femme totale“, 22.–26. März, c/o Kulturbüro Dortmund, Tel.: 0231/5025162

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