„Chaos statt Musik“

■ Heute abend in der „Glocke“: das Borodin-Quartett spielt Schostakowitsch

Es gibt kaum einen Komponisten, dessen Werk so sehr im Zusammenhang mit der Biographie gesehen werden muß wie das von Dimitri Schostakowitsch. 1936 war in der „Prawda“ jener berühmte Artikel mit dem Titel „Chaos statt Musik“ erschienen. Ende der dreißiger Jahre war Schostakowitsch rehabilitiert, sein 1940 entstandenes Klavierquintett fällt in diese Phase. Die Aufführung heute abend durch das Borodin-Quartett mag deutlich machen, wie sehr Ästhetik von politischen Machtverhältnissen beeinflußt wird. Das sarkastische Scherzo, das leidenschftliche Lento, die augenzwinkernde Leichtgewichtigkeit des Schlusses:. Das Stück wurde 1941 mit dem Stalin-Preis ausgezeichnet, was zeigt, wie sehr Schostakowitsch lernen mußte, auf einer verschlüsselten Ebene zu sprechen.

Und Franz Schubert in seinem Todesjahr 1828? Die Metternich-Ära im Wien der zwanziger Jahre, in der über 20 % der Bevölkerung Spitzel des Systems waren, in dem kein einziges Werk ohne Zensur in die Öffentlichkeit geriet, hatte tiefste Spuren hinterlassen. Das zutiefst dramatische (erster Satz), aber auch vollkommen stille und nach innen gehende (langsamer Satz) Werk schließt mit einem Kehraus, der keine Antwort mehr weiß. Beide Werke zählen zu den bedeutendsten der Gattung.

Ute Schalz-Laurenze

Um 20 Uhr im kleinen Saal der Glocke: das Borodin-Quartett mit Natalia Gutmann, Cello, und Eliso Virsaladze, Klavier